Kommentatort 77: Tatort „Er wird töten“

Der neue Bremer Tatort „Er wird töten“ bringt Stedefreund zurück. Ein Polizist kommt auf dem Pissoir um. Das Publikum gähnt auf dem Sofa.

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Kurz nach dem unerwarteten Tod ihres Lovers, mit dem sie immerhin gerne genug in die Heia sprang, um ihm einen Schlüssel zu ihrem Haus zu geben, ist Kommissarin Lürsen auch schon wieder voll auf Arbeit. Statt das Naheliegende zu tun, bespricht sie die nächsten Ermittlungsschritte mit ihrer Tochter – pikanterweise ist das auch gleich noch ihre Chefin. Klaro, dass der Kriegsheimkehrer Stedefreund seiner Chefin zur Seite steht in dieser schweren Zeit. Auch er hat es nicht leicht: ein schreckliches Geheimnis aus Afghanistan verfolgt ihn.

Da hoffte man, jetzt kommt neues Leben in die Bremer Ermittlerbude, und dann sowas! Was für ein Abgang! Sprich: Was für eine Rückkehr! Eben noch dachte man, das war’s mit Stedefreund. Neulich flog er nach Afghanistan, zum Einsatz als Polizeiausbilder. Jetzt ist er zurück. Seine Rückkehr unterstreicht den sendeverbundweit hinlänglich bekannten Trend in Sachen „Bundeswehreinsatz in Afghanistan“-Aufarbeitung. Ohne posttraumatische Belastungsstörungen, verwackelte zeitliche Rückblenden, grobkörnige, traumatisierende Bilder voll suggestiver Kraft, geht nichts mehr. Auch Stedefreund kämpft gegen die Gespenster seiner Vergangenheit. Doch dazu bleibt wenig Zeit.

Katz- und Mausspiel in verblassenden Farben

Kommissarin Lürsen neuer Lover und Arbeitskollege (im Folgenden: toter Lover), Leo Uljanoff , dessen Auftauchen man in der letzten Folge verdattert zur Kenntnis nahm, wird auf dem Klo des Polizeipräsidiums ermordet. Der Täter schlich sich ins Präsidium; Kameraaufnahmen legen den Verdacht nahe, dass er noch dort ist. Ein Katz- und Mausspiel beginnt. Inga Lürsen, die letztens im Kommentatort nicht ganz so gut wegkam, reagiert stoisch. Anstatt zu Trauern um ihren toten Lover, stürzt sie sich in die Ermittlungen. Davon, den Fall abzugeben, will sie nichts wissen. Mit dem Mord fällt nicht nur der rundliche, liebenswürdig-tollpatschig-verlässliche Neue weg, es verblasst auch atemberaubend schnell die Farbe, die sie durch ihn gewann.

Wer seinem Spürhund nicht traut …

Der Tatort „Er wird töten“ beginnt verstörend. Mit dieser Ausgangslage ist eine Situation gegeben, die Raum liesse für atemlose Spannung. Jedoch stellt sich die Polizei so ungeschickt an, dass es kaum zu glauben ist. Wohl suchen sie das ganze Hauptquartier nach dem Mörder ab, jedoch misstrauen sie im alles entscheidenden Augenblick ihren Spürhunden. Man hat sich auf das Versteckspiel fixiert, um das bisschen Spannung zu retten, das nach ein paar Minuten noch drin ist.

Falsche Spuren

Unheimlich ist die Intrige, die sich um einen alten Fall des toten Lürsen-Lovers anlagert: Mit der Figur einer überarbeiteten Ärztin, die das eigene Kund narkotisierte, damit es nicht merkt, wenn Mama weg ist, kommt eine unheimliche Komponente hinzu. Weniger einfallsreich hingegen ist die Ebene mit den eineiigen Zwillingen, die das Publikum auf eine falsche Spur führen sollen.

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Hier wird getestet, ob eine Verdächtige unter Drogen steht. Ebenso gut könnte man diese Technik anwenden, um herauszufinden, welche Auswirkungen ein trotz vielversprechendem Anfang im Seichten versandender Bremer Tatort auf die Pupillengrösse des mehr oder weniger gewogenen Publikums hat. Im Fall des Kommentatorts bleibt, auch im Sinne einer Offenlegung, das Folgende festzuhalten: Wo die Augendeckel zugefallen sind, kann man lange mit der Taschenlampe drauf zünden. Die betreffende Person ist in Tiefschlaf gefallen.

Was vom Tatort „Er wird töten“ bleibt

Die Gefasstheit, mit der Lürsen auf den Tod ihres Lovers reagiert, stimmt sogar bei einer so apathischen und farblosen Figur wie ihr nachdenklich. Weit davon entfernt, sich eine Trauerschmonzette zu wünschen, atmet man auf, als es schillernd ihre Wangen runterkullert, während sie im Kühlraum des Leichenkellers Abschied nimmt. Ein Fall zum Vergessen.

Note auf der «Wie-einst-Lily»-«Nie-wieder-frei-Sein»-Skala*: 3.

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