Der Leipziger Tatort „Die Wahrheit stirbt zuerst“ ist eine spannende Geschichte. Kommissarin Saalfeld gewinnt Farbe, Keppler hat Stress mit der Ex-Ex.

Eine Siebenjährige wird von ihrem Mörder am Ufer eines Waldsees zur letzten Ruhe in ein verschneites Ruderboot gebettet. Die Mutter des Mädchens hat ihren in Trennung von ihr lebenden Mann im Verdacht. Er soll seine Tochter ermordet haben, weil er den Umzug seiner Frau samt neuem Partner und Tochter nach Ägypten nicht verkraftete. Unweit des Tatorts wird der Vater gefunden, halb verblutet, die Pulsadern aufgeschlitzt. Alles fügt sich zusammen. Um zu verhindern, dass der Tochtermörder stirbt, spendet Eva Saalfeld ihm einige Liter Blut. Die Obduktion des toten Mädchens fördert weitere Verdachtsmomente gegen den Vater zutage.
Aufdonnerung durch höhere Amtsstelle
Um den verdächtig in Richtung Familiendrama driftenden Tatort aufzudonnern, meldet sich eine Kollegin vom Bundeskriminalamt bei den Leipziger Komissaren. Es handelt sich um die Ex-Ex von Keppler, klar, schliesslich muss der mal wieder seine Grummeligkeit unter Beweis stellen. Die BKA-Beamte verlangt ultimativ von Saalfeld und Keppler, in die Ermittlungen eingebunden zu werden. Sie zaudert nicht, wenn etwas nicht in ihrem Sinne läuft; sie versucht, die Ermittlungen ganz an sich zu reissen.

Unverwertbare Beweise und illegale Geschäfte
Das BKA überwacht den neuen Lebenspartner der Mutter der Toten seit längerer Zeit, wegen Verdacht auf illegale Waffengeschäfte. Es geht um die Ausfuhr verbotener Technologien nach Ägypten, Bauteile, die zur Steuerung von Raketen einsetzbar sind. Die Beweise des Bundeskriminalamts, in der Grauzone zwischen Recht und Unrecht gesammelt, sind nicht gerichtlich verwertbar. Zwar deuten ihre Hinweise in Richtung des Täters; trotzdem bleibt die Frage, wie der Mörder überführt werden kann, ohne auf solche Beweise zurückzugreifen.
Geheimdienstfatzken und weitere Klischees
Die Tatsache, dass neunzig Prozent aller Mörder im Umfeld der Opfer zu suchen sind, wird im Tatort „Die Wahrheit stirbt zuerst“, gerade am Anfang, etwas gar hartnäckig betont. Man weiss sofort als Zuschauer, dass es so einfach nicht sein kann. Dieser Verdacht erhärtet sich: Der erste Geheimndienstfatzke, der vorstellig wird und von hieb- und stichfesten Beweisen gegen diesen oder jenen Verdächtigen salbadert, der muss es gewesen sein. Der grosssprecherische Titel „Die Wahrheit stirbt zuerst“ lässt keinen anderen Schluss zu.

Was vom Tatort „Die Wahrheit stirbt zuerst“ bleibt
Es ist eine gehobene Ironie, dass die stets so blutleere Kommissarin Saalfeld (Spezialgebiete: Arme-auf-die-Hüfte-Stützten und Schnuten-Ziehen) ausgerechnet nach der Spende von zwei Liter Blut so etwas wie Farbe und Temperament entwickelt. Dass es mal einen spannenden Leipziger Tatort geben wird, hat der Kommentatort nach der Vorarbeit nicht kommen sehen.
Note auf der «Wie-einst-Lily»-«Nie-wieder-frei-Sein»-Skala*: 5.