«Grösse und Grandezza»
Professor Börne, die cabriobrausende Grande aus dem Leichenkeller, steht in Adiletten, Frack und Fliege vor dem Spiegel und übt eine Dankesrede, die er an der Verleihung eines Wissenschaftspreises halten will. Sein Nachbar Thiel, die fahrradfahrende, übergewichtige Grösse von Kommissar, will zur selben Zeit bei Chips und Bier einen Match schauen. Natürlich wird das nichts, denn sein exzentrischer Vater, der Althippie und Taxifahrer, ist gleichzeitig am Fischen und zieht einen schweissigen Fang aus dem Kanal. Thiel eilt an den Tatort, um, wie er bellt, das Opfer zu befragen. Was bei der Mordkommission generell schwer ist, ist hier noch einiges kniffliger, denn nur ein Fuss in einem Bikerstiefel wurde gefunden. Um den zum sprechen zu bringen, muss schon Professor Börne her. Natürlich reicht dem Wissenschaftspreisträger der abgetrennte Fuss, um das Opfer mit Namen und Telefonnummer zu identifizieren.
Das Opfer arbeitete in einem Tennisclub. Dort stösst Thiel auf die Familie des hoffnungsfrohen Nachwuchstalents Nadine Petri, die eine Wildcard für das Stuttgarter Tennisturnier hat. Für ihre Karriere wird alles getan, der Vater zieht Fäden, die Mutter überwacht die Trainingseinheiten und der Bruder verzichtet aufs Studium, um seiner Schwester die Schläger zu bespannen.
Der Rest der Leiche wird gefunden, übrigens ebenfalls von Vater Thiel, wieder beim nächtlichen Kiffen und Fischen. Die Tote wurde aber nicht, wie der Kommentatort erst noch bange vermutete, mit Tennisschlägern erschlagen und mit Filzgeschossen übern Haufen geballert, sondern betäubt, ersäuft und mit schweren Bikerstiefeln grün und blau gekickt. Bikerstiefel? Aha! Die Spuren führen in einen Rockerclub. Kommissar Thiel und Staatsanwältin Klemm fahren an. An der Türe prangt ein «Frauen-nein-Danke»-Schild. Unerwünscht seien sie, rotzt der Türsteher sie an, vor allem die da, also das Mannsweib Klemm. Sie jedoch lässt sich nicht beeindrucken, insistiert und verschafft sich mithilfe ihrer Krücke (Moritz Eisner ruft Pfiati!) Einlass in die Räumlichkeiten des testosterongeschwängerten Zweiradklubs. Was hat die Tote hier zu suchen gehabt? Der grausige Verdacht: Crossdressing. Tatsächlich! An der Tätowierung erkennt Thiel die Tote. Sie war heimlich ein Mitglied bei den Rockern. Und als diese Hosenrolle herauskam, wurde sie von den Rockern getötet. So könnte das gewesen sein, mutmassen Thiel und Co. – es gab schon abwegigere Motivhypothesen.
Derweil erweitert sich die Transgender-Binnengeschichte zum Motor der Geschichte. Es kommen, vorsichtig gesagt, Zweifel auf, ob die Tennisspielerin Nadine Petri nun eigentlich im gemischten Doppel, bei den Frauen oder sonstwo das Racket schwingen sollte. Zwischen gynäkologischen Gefälligkeitsgutachten, grosser Liebe, angeklebten Chinesenbärten und den Aussichten auf die grosse Karriere und lukrative Werbeverträge schält sich das Mordmotiv heraus.
Schön, dass sich der Fall nicht schon wieder zur Anklage von Provinzmief und Kleinstadtmilieu auswächst. Natürlich läuft auch hier alles über Professor Börnes Schragen: Das geht nicht anders in Münster. Der Ehrgeiz, mit dem Börne sich an Kommissar Thiel klemmt, hat etwas erfrischendes, zumal nach der lieblosen Hanswurstiade des letzten Münsteraners. Auch gut, dass die bösen Sprüche wieder da sind. Ebenso, dass die Binnengeschichte – nach dem indiskutablen Ludwigshafener von letzter Woche – und der Mord hier auf Augenhöhe sind. Auch die hochgradig arbeitsteilige Täterschaft überzeugt. Zu Recht haben Thiel und Börne diesen Februar eine Goldene Kamera als bestes Ermittlerteam eingeheimst. Kein Wunder, sind Thiel und Börne diesmal so gut drauf: Die beiden haben Grösse und Grandezza. Da verzeiht man auch gern die gefälligen Sauf- und Katerszenen sowie den sauglattistischen Ausrutscher, der unmittelbar vor dem Abspann kommt.
Note auf der «Wie-einst-Lily»-«Nie-wieder-frei-Sein»-Skala*: 5.