Kommentatort 18

«Magerquark»

Der neue Berliner Tatort «Mauerpark» führt die Kommissare Stark und Ritter in die ehemalige Todeszone, in den Mauerpark, der sich auch 22 Jahre nach der Wende noch wie eine Bruchlinie durch die Stadt zieht. Der Film beginnt wenigversprechend: Es sind grobkörnige Bilder, ein Mann fährt durch die Stadt, man hört eine verzerrte Stimme. Der Mann wirft einen Koffer von einer Brücke und trifft zwei Gestalten, worauf er erschossen wird, piff-paff, dann Schnitt auf die Augen eines Schlafenden. Seine Geliebte will wissen, ob er von ihr geträumt habe; nein, von sich selbst habe er geträumt. Dann steht er auf und macht sich parat: Er muss zu einem Treffen, wen er treffen wird, sagt er nicht, jedoch nimmt er eine Pistole mit. Es kommt zu einem Treffen auf dem Gelände eines Schrotthändlers, wo er erschossen wird.

Der Mann war ein bekannter Anwalt. Gerade neulich bewahrte er einen Kindesmörder vor lebenslanger Sicherungsverwahrung. Die Mutter des toten Kinds gerät in Verdacht. Sie schäumt über beim Gedanken, dass der Mörder ihres Sohns wieder frei sein soll. Sie gründet eine Bürgerbewegung, die Mahnwachen vor der Wohnung des Mörders hält, ihn mit Sprechchören bedenkt und ihm die Fensterscheiben beschmeisst. Aber schon nach ihrem ersten, eindrücklichen Monolog weiss man, dass sie es nicht war, die den Anwalt erschoss, niemals, denn sie begnügt sich mit Rufmord und Mahnwachen.

Die nächste Spur führt in einen Boxklub. Die Kommissare stutzen; was treibt ein erfolgreicher Anwalt hier? Ach was, baunzt der Betreiber des Boxklubs, hier seien alle Schichten vertreten, vom Banker bis zum Türsteher. Apropos: Bald zeigen uns die Tatort-Verantwortlichen, wie sie sich das Hochdeutsch türkischer Einwanderer vorstellen: Was, radebrecht der Sparringpartner des toten Anwalts, der Anwalt tot, erst gestern noch habe er ihm die Nase poliert und jetzt soll der krass tot sein, der Schwachmat? Der Sparringpartner also war es nicht, schliesslich hätte er sein Opfer nicht erschossen, sondern totgehauen.

Nach und nach kommt die Geschichte zu den nervigen Auftaktbildern ans Tageslicht. Eine Clique, bestehend aus zwei Zwillingsschwestern, dem toten Anwalt und dem Gärtner der beiden schwerreichen Zwillinge, tanzte sich Ende der 80er-Jahre durch die langen Nächte der langsam aber sicher zusammenwachsenden Stadt. Dann wurde das Baby der einen Zwillingsschwester entführt. Trotz geglückter Lösegeldübergabe tauchte es nicht wieder auf. Dafür findet man beim Gärtner und Fahrer einen Teil des Lösegelds und Knochenreste. Der Gärtner wurde verurteilt und die eine Zwillingsschwester gründete eine Stiftung, die Knackis eine zweite Chance gibt.

Wer aber ist der Kappen-und-Kapuzen-tragende Trottel, der auf dem Schrottplatz arbeitet, wo der Anwalt erschossen wird? Was für ein Spiel spielt der? Kommissar Ritter beginnt ihm zu vertrauen und denkt sich eine Falle aus, deren Köder der brabbelnde Depp ist. Warum aber gibt er nicht das Stichwort, damit die Polizei ihn retten kommt? Die Kommissare greifen viel zu spät ein; als Bewegung in sie kommt, ist die Zwillingsschwester schon tot.

Nun, wo der brabbelnde Narr der letzte Erbe des Familienvermögens ist, kann er seine Maske fallen lassen und entpuppt sich als kalt berechnender Racheengel. Von jeder Wahrheit gebe es zwei Versionen, mindestens, versichert er den Kommissaren, bevor er als Gewinner abgeht. Ein vertrackter Tatort, über den sich Abhandlungen verfassen liessen. Da käme dann allerhand ans Licht, Mythen und Handlungsgefüge von griechischen Ausmassen, populärmusikalische Déjà-vus, solches Zeugs, nur kein brauchbarer Krimi. Nichts geschieht hier unvorweggenommen, weder der Mord am Anwalt noch der Kindsmord noch das Gähnen des Kommentatorts. Hier wird zu viel gewollt, als müsse nun auch noch der Tatort Kunst sein. Muss es aber nicht. Wirklich nicht. Fazit: «Magerquark» statt «Mauerpark».

Note auf der «Wie-einst-Lily»-«Nie-wieder-frei-Sein»-Skala*: 3.5.

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