Es gibt einen Tatort, ich mache uns Tee
Im Bremer Tatort „Ordnung im Lot“ ermitteln die Kommissare Lürsen und Stedefreund in einem Tankstellenbesitzer-Mord. Das lässt viel Zeit zum Wäsche bügeln.
Einem Tankstellenbesitzer wird das Hirn mit einem Schuss zwischen die Augen an die Wand gepustet. Ein Raubüberfall, klar. Doch dann wird es kompliziert: Die rappelvolle Tankstellenkasse bleibt unangetastet; ein Sechzehnjähriger, der im Haus vis-à-vis wohnt, kommt und schliesst dem Toten die Augen; eine Verrückte, die Mutter des Sechzehnjährigen, steht verdattert in der Tankstelle herum, die Pistole in der Hand. Weil die Sache so noch nicht komplex genug ist, liegt auch noch ein angeschossener Hund in der Tankstelle.
Hauptkommissarin Lürsen und Stedefreund nehmen die Ermittlungen auf. Am Tatort fehlen die Waffe und der Hund: Wer hat hier bloss herum gepützelt? Die Familie des Opfers nimmt die schlimme Nachricht mit Fassung auf: Der Tote hatte immer wieder Wutanfälle und ging auf seine Familie los. Ob er wegen häuslicher Gewalt sterben musste? Wenn da nur diese regelmässigen Drohanrufe nicht wären, die der Sohn des Toten bekommt: Es meldet sich ein Geschäftspartner des Vaters und verlangt, dass der Sohn dessen Schulden begleiche. Der Anrufer spricht Russisch; der Tankstellenbesitzer wird beim organisierten Verbrechen in der Kreide stehen.
Die Verrückte hält die Kommissare mit ihrer schizoiden Rätselprosa auf Hochtouren, brabbelt mal was aus der griechischen Mythologie, dann wieder was ganz prosaisch Konfuses („Es gibt eine Gefahr, ich mache uns Tee“) und wehe! wenn sie einmal ihre Pillen vergisst. Mit dem Toten hatte sie handfesten Krach. Immer wieder durchbrechen ihre Wahnsequenzen den Film, dann sieht sie Sandstürme und Millionen von Ameisen in ihrem Haus und ein Tagesschau-Sprecher sagt ihr, was sie zu tun habe. Dieser Nebenhandlung so viel Gewicht zu geben, mag zur Ablenkung vom dürftigen Fall dienen – dennoch, ein Paar Wahnsequenzen weniger und dafür mehr 08/15-Ermittlungsarbeit hätten nicht geschadet. So bleibt zu wenig Zeit, um den Fall sauber zu erzählen.
„Ordnung im Lot“ ist trotzdem ein robuster Tatort geworden, was vor allem Lürsen und Stedefreund zu verdanken ist. Die Verrückte hingegen ist soso lala, ihr trotteliger Mann überhaupt nicht gelungen. Hausmannskost ist das, mit viel Psychodrama, wenig Handlung, einigen Wissenslücken und einem Ansatz von Humor: Das braucht schon Nerven, im Jahr 2012 einen Protagonisten fast 90 Minuten lang mit einer VHS-Kassette (sic!) herumrennen zu lassen, auf der Suche nach einem, wie hiessen die Dinger – Videorekorder. Das Band enthält den Mord. Es kommt kurz vor 21 Uhr 45 zum Happyend, ein VHS-Gerät findet sich und, halleluja! das Band kann geschaut werden, sodass die versicherungsbetrügerischen Hintergründe des Mords ans Licht kommen.
In den 80 Minuten zuvor wurde die Liste der Verdächtigen von Lürsen und Stedefreund etwas gar lustlos angegangen. Der Film will und will nicht beginnen, alles bleibt bis am Ende in der Schwebe. Der Mord erscheint als Beigemüse zum streckenweise eindrücklichen Porträt der Verrückten, deren Darstellung aber nicht so stimmig oder gar packend ist, um die vielen verwendeten Kunstgriffe zu motivieren.
Auch in ihrem 25. Tatort überzeugt Hauptkommissarin Lürsen mit ihrer ruhigen, ab und an etwas schnarchigen Art. Sie darf ihrem Bauchgefühl folgen und sich in bester Klara-Blum-Manier in die Untiefen eines kaum zu entwirrenden Gedankenchaos hineinfühlen, während Stedefreund darauf besteht, sich an Fakten zu halten. Lürsen hat das nicht nötig: Zu zielsicher entziffert sie die Orakelei der Augenzeugin und löst den Fall im mythologischen Hauruckverfahren. Sie zaubert am Ende den Mörder und Auftragssterbehelfer aus dem Hut und setzt den Mutmassungen ein Ende. Heraus kommt ein Tatort, an dem sich nicht viel herummäkeln lässt, weil er viel zu wenig wagt. Der typische Film, um Wäsche zu bügeln und Socken zu sortieren.
Note auf der «Wie-einst-Lily»-«Nie-wieder-frei-Sein»-Skala*: 4.
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