Kommentatort 29

Suicide by Leitmayr

Der neue Münchner Tatort „Der traurige König“ verwirrt mit echten und falschen Wummen und einem Randbegriff aus der Selbstmordstatistik.

Preisfrage: Sieht aus wie eine Wumme, bedient sich wie eine Wumme, wummst wie eine Wumme, löst dieselben Reflexe aus wie eine Wumme – ist es eine Wumme? Ja und nein, denn eine Replikawumme erfüllt alle diese Kriterien, ohne im engeren Sinne tödlich zu sein (es sei denn, der Träger der falschen Wumme trifft auf einen Träger einer echten Wumme).

Aber auf Anfang. Der Münchner Tatortkommissar Franz Leitmayr kassiert einen schlechten Tag: Zahnweh hat er, und wie so viele Zahnweh leidende Tatortkommissare vor ihm schmeisst er eine Tablette rein oder zwei und meldet sich zum Dienst. Nicht lange, und die beiden haben einen gemeinsamen Grund, um den Tag unterirdisch zu finden. Der Polizeichef stellt ihm und Kollege Bartic eine auszubildende Assistentin zur Seite. Da diese hübsch ist, geht der Ärger schnell vergessen und das grosse Balzen beginnt.

So fahren sie, die Assistentin auf dem Beifahrersitz, in ihrem BMW übers bayrische Land. Sie geraten an einen brennenden Wagen. Obschon brennende PKWs nicht zu ihren Kernkompetenzen gehört, versuchen sie den Wagen zu löschen. Auf dem Beifahrersitz des Wagens finden sie eine verkohlte Leiche; aus einem Fenster des verlassenen Hofes schaut ein verwirrter Mann. Im Inneren des Gehöfts greift er sie mit einer – nun ja! – Wumme an. Die Kommissare fliehen; erst, als ihre neue Assistentin laut schreit, zücken sie ihrerseits ihre – nun ja! – Wummen. Die Situation eskaliert. Als der Angreifer mit gezückter Wumme auf die Polizistin zugeht, schiesst Leitmayr dreimal – piff! paff! puff! – in seine Brust.

Dieses Eingreifen ruft den internen Ermittler der Staatsanwaltschaft auf den Plan, der herausfinden muss, ob der Einsatz angemessen war. Das übliche Verfahren sei das, versichert der trottelige Polizeichef, während Leitmayr Hemd, Knarre und fast auch noch seinen Ausweis abgeben muss. Der Interne hat Blut gerochen. Zu dumm, dass die Knarre des Angeschossenen eine Replika war. Der interne Ermittler, ein Aasgeiergesicht aufgesetzt, schnüffelt im Büro der Kommissare herum, auf der Suche nach Drogen und Flachmännern.

Unbeeindruckt ermitteln Leitmayr und Batic weiter, unterstützt von ihrer Assistentin. Die Spuren führen zu einem Eisenwarenladen, der von einem alten Ehepaar betrieben wird. Der Angeschossene ist ihr Sohn. Mehr und mehr drängt sich der Verdacht auf, dass er in einen Raubüberfall verwickelt war. Pikant: Der Überfall fand ausgerechnet in dem Heimwerkermarkt statt, indem sowohl die verkohlte Leiche als auch der Bruder des Angeschossenen arbeitet.

Der Bluthund von der internen Ermittlung nimmt Franz Leitmayr noch weiter auseinander. Eben noch im Gespräch zum Polizisten des Jahres, scheint er nun seinen Job so gut wie los zu sein – Spannungsbögen um die Entwicklung ihrer Kommissare aufbauen können sie in München. Natürlich kümmert sich Ivo Batic rührend um seinen gefallenen Kollegen: Bald stürzt er sich mit besagter Replikawumme auf den internen Ermittler, um zu zeigen, wie verflucht schnell man eine echte mit einer falschen Wumme verwechseln kann.

Es entwickelt sich ein Fall, der am Ende nicht nur Batic wie ein Pferd dreinschauen lässt, als die Täterschaft heraus kommt. Einmal mehr gelingt es einem Münchner Tatort, auf glaubwürdige Weise zu zeigen, wie ein Kommissar mit seinem Job hadert und in die Mühlen des Systems gerät. Das scheint sich zur Münchner Spezialität zu entwickeln: Kommissare mit Ecken und Kanten, die überreagieren, Beweismittel erschummeln, das Recht in eigene Hände nehmen – kurz: die Menschen sind und nicht nur Abziehbilder. Zwar ist dieser Fall Lichtjahre vom Münchner Lichtblick „Nie wieder frei sein“ entfernt, aber dennoch lohnt dieser Krimi jede einzelne der 90 in ihn investierten Minuten. Alleine schon, um das abschliessende Plädoyer des internen Ermittlers zu hören und zu erfahren, was „suicide by cop“ bedeutet, lohnt es sich.

Note auf der «Wie-einst-Lily»-«Nie-wieder-frei-Sein»-Skala*: 4.5.

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