Kommentatort 34

Der Tatort in Kinderhand

Der neue Leipziger Tatort „Kinderland“ spielt in einem Sumpf aus Kinderprostitution, fanatischem Helfertum und Gleichgültigkeit. Die Kölner Kollegen eilen Keppler und Saalfeld zu Hilfe.

Eine Mutter meldet ihre Tochter als vermisst. Keppler und Saalfeld machen ihr klar, dass sie mit dieser Anzeige zur Vermisstenstelle, nicht zu Mordkommission, gehen muss. Dann werden die Kommissare zum Kinderstrich gerufen, wo die Leiche eines Mädchens liegt. Es ist aber nicht die Vermisste. Bei den Ermittlungen stossen Saalfeld und Keppler auf den Leiter des Strassenkinder-Hilfsvereins „Kinderland e.V.“, auf dessen Frau, die als Ärztin arbeitet, sowie auf deren Sohn, die mit der Toten ein Verhältnis hatte.

Zeitgleich wird in Köln eine in Plastik gehüllte Leiche aus dem Rhein geborgen. Ballauf und Schenk machen sich an die Ermittlungen: Es ergeben sich Verbindungen nach Leipzig. Kurz entschlossen machen die Kommissare sich auf nach Sachsen, freilich ohne sich bei den Kollegen anzumelden. Die weiteren Ermittlungen, die Ballauf auf den Kinderstrich führen, sorgen für Zoff mit dem Leipziger Kollegen: Keppler hält Ballauf für einen Freier und will ihn verhaften. Es kommt zur hangreiflichen Auseinandersetzung, ehe sich die Kommissare erkennen und ihr Alphatier-Wettpinkeln auf andere Bäume verlegen. Die Leipziger und die Kölner einigen sich darauf, gemeinsam zu ermitteln.

Das vermisste Mädchen wird bei einem zwielichtigen Typen gefunden, der obdachlose Strassenmädchen bei sich übernachten lässt. Als Keppler und Ballauf bei ihm klingeln, flieht er und zwingt Keppler zu einem Sprint durch halb Leipzig. Vergeblich, am Ende hat der Kommissar den längeren Atem. Es stellt sich aber heraus, dass der Verhaftete zwar ein Ekelpaket ist, dass jedoch neben dem Zusammenbauen von Zweit-Weltkriegs-Flugzeug-Modellbausätzen nichts weiter Verdächtiges gegen ihn vorliegt. Während sich die Ermittlungen vermehrt auf den engeren Kreis um den Freund der Getöteten konzentriert, kommt es zum Wiedersehen zwischen dem abgehauenen Mädchen und ihrer Mutter. Dabei drängen sich Verbindungen zu einer Jahre zurückliegenden Kindesentführung auf.

Die Tatort-Macher meinen es gut an diesem Osterwochenende. Neu ist die Zusammenarbeit verschiedener Tatort-Kommissariate beileibe nicht, dass man eine Doppelfolge daraus macht, hingegen schon. Die Filme stehen für sich selbst als abgeschlossene Tatorte, sind jedoch vielfältige Motivstränge verflochten. Im „Kinderland“ gelingt die Aufklärung des Falles, als sich am Ende ein banales Motiv herauskristallisiert. Dann aber flieht das eingangs als vermisst gemeldete Mädchen aus der Obhut von Kommissarin Saalfeld und gerät an einen dubiosen Kerl, der ihr verspricht, sie nach Köln zu fahren.

Die Folge „Kinderland“ schafft nicht nur das Kunststück, dass man dem nächsten Tatort entgegenfiebert, sondern sie reanimiert auch ein vom Kommentatort längst abgeschriebenes Ermittlergespann. Keppler wird endlich ein ganz kleines bisschen greifbar, während Saalfeld zwar nach wie vor nur ihre Schmolllippen schnürt, jedoch auch über ihre gewohnte Kleiderständer-Bildschirmpräsenz hinausgelangt. Natürlich ist es plump, wie Saalfeld einen auf Beste-Freundin mit dem abgehauenen Mädchen macht. Auch die Nebenrolle der Saalfeld-Mutter prescht einmal mehr seifenopernhaft dazwischen. Wie in „Kinderland“ aber aufgezeigt wird, dass ein herrenloser Hund es besser hat als ein Strassenkind, wird ohne allzu viel Empörung gezeigt (wenn auch der Spiegel zurecht moniert, dass das Thema Kinderstrich auch schon eindringlicher dargestellt worden ist). Die Kälte und Ignoranz der Gesellschaft den Strassenkindern gegenüber wird auch auf den Umgang der Strassenkinder untereinander kopiert, was die Sache desto heftiger macht. Die Frage jedoch, an wen das ausgebüxte Mädchen da geraten ist, und ob sich zwischen Schenk und Saalfeld nach all dem Geturtel etwas anbahnt, lässt die Folge offen und vertröstet auf den morgen ausgestrahlten Kölner Tatort „Ihr Kinderlein kommet“.

Note auf der «Wie-einst-Lily»-«Nie-wieder-frei-Sein»-Skala*: 4.5.

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P.S. Geneigte Leser werden feststellen, dass der Kommentatort für die letzten Folgen aus Köln und Leipzig fehlt. Das erklärt sich mit einem Urlaub. Zwar hat der Kommentatort sich auch die Folgen „Todesbilder“ und „Keine Polizei“ zu Gemüte geführt, jedoch nichts darüber geschrieben. Es ist das Prinzip des Kommentatorts, eher einmal eine Folge zu schauen, ohne darüber zu schreiben, als umgekehrt, wie andernorts praktiziert.

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2 Responses to Kommentatort 34

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