„Whodunnit at its worst“
Die fünfzehn Jahre, die der Bremer Tatort auf dem Buckel hat, hätte man dem Gespann nach der aktuellen Folge „Hochzeitsnacht“ nicht gegeben – man hätte auf wesentlich mehr getippt.
Zwei Bewaffnete überfallen eine Hochzeitsgesellschaft. Der Überfall entpuppt sich als Abrechnung mit der Vergangenheit: Einer der Geiselnehmer will herausfinden, wer von den Anwesenden seine Freundin ermordete. Für den Mord an ihr wurde er unschuldig zu neun Jahren verurteilt. Klingt nicht nach Tatort? Stimmt! Zum Glück befinden sich auch die Bremer Ermittler Stedefreund und Lürsen unter den Hochzeitsgästen. Klingt immer noch nicht nach Tatort? Stimmt! Eine Leiche muss immer in den ersten fünf Minuten her, neun Jahre sind definitiv zu weit weg. Also wird einer der Gäste erschlagen (von den Geiselnehmern ist es keiner gewesen).
Gassi gehen statt überfallen lassen
Stedefreund verpasst den Überfall, weil er gerade Lürsens Wauwau Gassi führt. Er kann die Polizei alarmieren. Stedefreund ist heute die Inkarnation von „Murphys Gesetz“: Was schlimmer kommen kann, kommt schlimmer. So jagt er den entwischten Hund, fliegt ins Wasser, verliert seine Hose, bleibt im Schlamm stecken und dann sind auch noch Handy und Festnetz tot. Um das Dutzend voll zu machen, befindet sich das SEK unter dem Kommando des Mannes seiner Ex.
Tatort als Klischeemaschine
Lürsen, die schon immer mit ihrer schnarchigen Art zum behäbigen Ausklingeln des Sonntagabends beitrug, landet in dieser Folge definitiv auf Schultheaterniveau. Neben ihrer Stammrolle als Versteherin und Zuhörerin versucht sie sich als Logopädin. Weil einer der Hochzeitsgäste, ein Stammler, nicht reden kann, empfiehlt sie ihm, es mit Singen zu versuchen, dann funktioniere das wieder. Natürlich begnügt sich Lürsen nicht damit. Bald hilft sie, mit empörtem Gesichtsausdruck, dem Geiselnehmer bei der Befragung der Gefangenen. Während sein Komplize die grobianische Vorarbeit verrichtet, macht sie die Nachbefragung.
Ein Klischee geht noch
Nach einer vollen Umdrehung des Minutenzeigers beginnt der Film Fahrt aufzunehmen. Der noch immer unentdeckte Mörder des Abends wie der Vergangenheit wirft Lürsen in den Kühlraum. Das jäh über den Film gekommene Momentun verliert sich bald. Weil in Sachen Klischee noch Luft nach oben ist, darf Lürsen ihrem Entführer, der sie aus dem Kühlraum rettet, entgegnen: „Dass ich mich mal noch freue, Sie zu sehen!“
Schnarch im Quadrat
„Hochzeitsnacht“ ist „whodunnit at its worst“, sogar für hiesige Verhältnisse: Der Bremer Tatort ist ja seit jeher ein guter Vorwand zum Wäsche bügeln. Sowohl die Ermittlung auf der Vergangenheitsebene als auch jene in der Gegenwart langweilt. Besonders deprimierend ist, was hier alles in die letzten fünfzehn Minuten gepackt wird. Erst soll es der nach dem Überfall erschlagene Vater des Bräutigams gewesen sein, dann der Bräutigam, dann die Braut. Und dann können die beiden schwerbewaffneten Geiselnehmer auch noch entkommen – um sich von Stedefreund mit einer Ohrfeige stoppen zu lassen der eine, der andere, um die letzte Komplikation dieses Tatorts zu ermöglichen.
Dieser Film versagt als Kammerspiel, Actionfilm, Tatort. Ein bisschen Brüllen hinter schwarzen Masken macht noch keinen Actionfilm, die grauslichen Dialoge kein Kammerspiel und die oberlehrerhaften Interventionen von Lürsen nerven.
Note auf der Note auf der “Wie einst Lily”-”Nie wieder frei Sein”-Skala: 1.5.
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