Kommentatort 45

Die Krux des ersten Tatorts

Der erste Tatort des Dortmunder Teams fällt auf mit viel Privatleben und wenig Fall. So weit, so unvermeidlich. Dass der Anfang aber auch noch ausschaut wie ein Mix aus „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ und Pseudo-Doku, hätte nicht sein müssen.

Man kann die in den letzten Jahren eingeführten neuen Tatortteams anhand der Anzahl Ermittler in aufsteigender Anordnung anordnen. Da ist der neue Wiesbadener LKA-Beamte Murot (Ulrich Tukur), dessen Nachname im Anagramm nicht zufällig „Tumor“ heisst. Hier entblödete man sich nicht, einen Hirntumor namens Lily im Kopf des Ermittlers einzuführen. Lily führte zu nett gemeinten Halluzinationen und Musikeinlagen des Kommissars. Daneben führte Lily vor allem zu Gähnen, zu viel Künstelei und Gewurstel und sintflutartigen Regieeinfällen. Tempi passati, denn mittlerweile wurde der Tumor rausoperiert. Naturgemäss ist ein solches „Einsamer Wolf“-Tatortteam die kleinstmögliche Variante. Bewährt, was die Abbildung eines ob der vielen Ermittlungsarbeit noch ganz schrullig gewordenen Ermittlers, aber eben je nach dem auch schwierig, da ohne ebenbürtiges Ermittlungsgegenüber (als was man einen Hirntumor nun wirklich nicht bezeichnen kann). Darum gibt es ja auch Zweiertatortteams. Auch ein solches erblickte in den letzten Jahren das Licht der Sonntagabendunterhaltung, nämlich Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Meyer). Zuerst wollte man eine gewisse USA-VIP-CSI-KTU-Ermittlerin an Flückigers Seite installieren, sah aber glücklicherweise von dieser „Lebendiger Kleiderständer mit a horrible US-accent Schwiizertütsch“-Variante ab. Mit Liz Ritschard (Delia Meyer) wurde eine ebenbürtige Partnerin für Flückiger gefunden. Ein Zweiertatortteam hat den schönen Vorteil, dass die Ermittlung auf zwei verschiedenen Schultern liegt, wobei verschiedene Ermittlungsmethoden inszeniert werden können. Ausserdem laden zwei Ermittlerprivatleben dazu ein, plot holes zu überwinden, bebildert und ausagiert zu werden.

Eins? Zwei? Drei? Vier!

Weil nun aber ein Einmann- oder Zweiertatort doch eher berechenbar, „tatorthodox“ und als Hausmannskost, daherkommt, zermartert sich dem Vernehmen nach gerade jetzt eine gewisse Tatortredaktion den Kopf wegen neuen Tatortteamstrukturen. So wird in Erfurt gerade das Tatortteam neu erfunden, und zwar in Form eines Dreiertatortteams (sorry, Alberich, aber der Münsteraner läuft unter Zweieinhalberteam …). Und weil drei eine ungerade Zahl ist, mit der es sich nicht so holzschnittartig-„alter ego“-mässig herumfuhrwerken lässt (und die Erfurter Premiere sowieso noch aussteht), folgt heute Abend das Dortmunder Tatortteam, das aus sage und schreibe vier Nasen besteht. Der einsame Wolf. Die taffe Glucker. Der feurige Liebhaber. Die kühle Schöne. Geübte Beobachter sehen den Vorteil eines solchen gemischten Doppels auf den ersten Blick: Man kann gegeneinander Beachvolleyball spielen und die Zuschauer mit allerlei Ausschnitten aus gleich vier verschiedenen Privatleben behelligen.

„Wer will noch mal, wer hat noch nicht“

Filmisch sind diesem neuen Team, wie jedem anderen Tatorterstling, enge Grenzen gesetzt. Während neunzig Minuten in der Regel noch nicht einmal ausreichen, um einen einzelnen Ermittler einzuführen, gestaltet sich dies bei einem so grossen Personalbestand umso schwieriger. Da droht dann schon einmal Hektik zu entstehen, nach dem Motto: „Wir ermitteln hier alle auf Augenhöhe und messen unsere Auftritte mit der Stoppuhr, damit keiner zu kurz kommt“. Mit dem Prinzip „Wer will noch mal, wer hat noch nicht“ haben sich aber noch selten wirklich gute Filme machen lassen. In „Alter Ego“ bekommt man das besonders im Auftaktdrittel zu spüren, wo mühsame, sprunghafte Kameraführungen dominieren, Zelluloid gewordenes Ping-Pong oder eben Beachvolleyball, hin und her, hin, zurück, eine Schnittführung, die bei jedem Wort einen neuen Winkel wählt, während eine neue Visage in den Fokus geschubst wird. Das ist nicht nur latent seifenopernhaft, sondern auch und ganz besonders nichts für Epileptiker, sorry, Sarah Brandt.

Ach ja, und auch eine Story

Natürlich hat der Film auch eine Story. Schon an seinem ersten Tag im Präsidium muss der neue Dortmunder Tatortchef Peter Faber (Jörg Hartmann) den Mord am Studenten Kai Schiplok aufklären. Er wurde während des sehenswerten (und insofern leider irreführenden) Vorspanns, in einer Parallelmontage zu einer Bettszene, erst mit dem PC erschlagen und dann abgestochen. Die Polizei findet ihn, nur mit einem Tuch bedeckt, einem richtig teuren Tuch, einem Luxustuch von der Sorte, wie sie sich Studenten nie und nimmer leisten können: Klare Sache also, trompetet einer von den vier Ermittlern, ein Beziehungsdelikt. Denn der Tote pflegte einen, wie es das Programmheft formuliert, ‚lockeren Lebenswandel’, unter dem besonders der Ex-Freund des Schönlings, Lars Bremer, litt.

Visitenkarte als heisse Spur

Der ein wenig überbetont unkonventionelle neue Tatortchef Faber beschliesst, in der Schwulenszene zu ermitteln. Natürlich nimmt er dazu auch gleich noch seinen ach, wie geerdeten Kollegen Daniel Kossik (Stefan Konarske) mit. Das ist ein selbsternannter Paradepottler, der eher Gelb-Schwarz als rosarot in der hormongesteuerten Birne hat. Recht erfolgreich und betont weltoffen-pflichtbewusst ermitteln die beiden in diesem ihnen fremden Biotop. Heraus kommt, neben der Visitenkarte eines möglichen Täters, nichts, wenn man absieht von der Begegnung zwischen Kossik und seinen aus der Fankurve nach Hause wankenden Kumpels. Die dürfen sich vor dem Schwulenklub darüber freuen, den Kurvenkumpel in flagranti erwischt zu haben. Dazu schmettern sie die Losung „Rosettenalarm“ und kneifen die Schliessmuskeln zusammen.

Ein paar gehen noch

Natürlich darf auch die resolute Chefin Martina Bönisch (Anna Schudt) nicht fehlen, die sich nach einer Nummer mit einem unbekannten Liebhaber aus einem Hotelzimmer verdünnisiert. Arg viel Kischee? Ach was, eine Komplikation geht immer. Also: Polizeioberkommissarin Nora Dalay (Aylin Tezel) ringt mit sich, ob es klug gewesen sei, den Vorspann mit ihrem Kollegen poppend zu verbringen. Immerhin müssen die beiden ja noch hoffentlich viele, viele Filme lang gemeinsam ermitteln. Hier kann der Zuschauer Entwarnung geben: Natürlich war das eine gute Idee, das war sogar eine Superidee, ein stimulierend-schockierender Aufspann war das, diese Mischung aus Bettgeflüster und Abmurkserei. Darum: So lange man nicht heiratet und sich scheiden lässt, geht das in Ordnung. Jedoch droht aus Berechenbarkeit entspringende Langeweile.

Schablonenhafte 5400 Sekunden

„Alter Ego“ ist als Geschichte knapp OK, eigentlich eher soso, lala. Noch ganz nett ist der im Titel versteckte Kalauer – sind mit „Alter Ego“ nun die sich prima ergänzend-abstossenden Ermittler gemeint, oder zielt der Titel auf Faber, der ja tatsächlich wie ein „alter Ego“ erscheint, Marke einsamer Wolf, der alles Wichtige an sicht reisst – patentgemeldet seit mindestens Schimanskis Zeiten? Der Kniff, dass der Kommissar gleich bei seinem ersten Auftritt als medikamentenfixierter einsamer Wolf und trauernder Familienvater ohne Familie und als Schwuler vor dem Coming-out und als Entführter, beinahe Flambierter gezeigt wird, wundert. Das ist doch wohl Stoff für eine ganze „Season“, nicht nur für läppische 5400 Sekunden „Mord zum Sonntag“. Natürlich muss man in einem neuen Team erst einmal Konflikte aufzeigen und Verbindungen vertiefen. Aber muss es so schablonenhaft sein?

Überdotiertes Ensemble

Definitiv zu viel vorgenommen haben sich die Macher mit dem Ensemble. Natürlich soll ein Ermittler nicht per se immer nur die einsame, arme Sau sein, die vor lauter „Work-life-Ungleichgewicht“ mit einem Hirntumor als Begleitung Vorlieb nehmen muss und sich dauernd über seine Vorgesetzten mokiert. Aber muss man so viele Leute, geschweige denn, so vieler Leute Privatleben in die Wurst würgen?

Eher Lindenstrasse als Tatort

Mit der ehrgeizigen Anlage einer Nummer 1, die eigentlich Nummer 2 sein sollte, wenn die jetzige Nummer 2 nur nicht so bescheiden wäre und zugunsten der nachmaligen Nummer 1 auf die Nummer 1 verzichtet hätte, weshalb die Nummer 1 in den Augen von Team-Mitglied Nummer 3 und 4 – die sich 90 Sekunden lang Nummer 1 sind, siehe Vorspann – aus den Rängen fällt, macht man eher Lindenstrasse als Tatort. Man tut man sich damit keinen Gefallen. Warum tut man sich damit keinen Gefallen? Tatort ist keine Seifenoper (wenn auch gewisse Leute daran werkeln). Wenn nach mehreren Monaten der zweite Dortmunder kommt, wird sich keiner mehr an den ersten Teil erinnern. Dann kann man sich entscheiden, die Bindungen zwischen den Figuren zu repetieren, bis wirklich der hinterste und letzte Depp es begriffen hat. Oder man kann auf diese Nachzeichnung verzichten, um den Preis, dass die sorgfältig aufgestellten und ausgeklügelten, gegeneinander abgewogenen Figuren mit einem Mal zerfasern, unfassbar werden. Die Teamleaderin, die einem anderen den Vorzug gibt. Der einsame Wolf, der auf alles ausser auf seine Medikamente scheisst. Die beiden Liebhaber, jetzt noch voll langsam abflauender Leidenschaft, nach 30 Folgen erstarrt.

Ohne Zweitbildschirm keine Chance

Schön, wenn es in einem neuen Tatortteam knistert, funkt, blitzt, donnert. Muss man aber gleich eine solche Reihung von Charakteren anlegen, die im besten Fall zur Seifenoper taugen, im schlechtesten Fall je einen Drittel ihrer Tatorte auf die Rumination vorhergehender Komplikationen ver(sch)wenden? Bald muss man sich als Zuschauer eine Liste aufs TV-Tischchen legen, weil man sonst nicht den Überblick behalten könnte. Zum Glück gibt es Angebote wie www.wiewardertatort.de. Die informativen Facebook-Posts von Wiewardertatort zum neuen Dortmunder sollte sich heute Abend unbedingt auf den Zweitschirm holen.

Sprechende Namen und Zungenküsse

Peter Faber ist ein sprechender Name. „Faber“ kommt von „Handwerker, Künstler, Schmied, Zimmermann“? Einer, der etwas mit den Händen macht, ein Macher. Auf jeden Fall ist Faber – vom Darsteller in Presseerzeugnissen zu Protokoll gegeben! – eher „Doctor House“ als „Praxis Bülowbogen“: immer am Anschlag, (zu) selbstsicher, unberechenbar, medikamentensüchtig. Nicht politisch korrekt: „Ich scheisse auf eure Klischees“ bis zur Redundanz und Klischeehaftigkeit. Ein Hauptermittler dieses Zuschnitts ist in etwa so überraschend wie ein Sonnenaufgang frühmorgens in östlicher Richtung. Es versteht sich, dass er seine Medikamente nicht wegen des erstbesten seelischen Juckreizes schluckt. Faber hatte einmal Familie – jetzt sind die alle tot, Frau und Kind. Ohne eine solche existenzielle Unwucht scheint man heute keinen neuen Kommissar mehr loslassen zu wollen. Diesen Faber kann man ebenso plausibel im Kommissariat zittern lassen oder ihm einen Zungenkuss mit einem Brandstifter, der ihn mit Benzin vollgemacht hat, andichten.

Zwei wie Keppler und Saalfeld?

Der Anfang ist noch ganz anschaulich, die Parallelmontage zwischen Bettszene und Mord gefällt. Das ist nett, stimmig, und war bestimmt, wie in Presseerzeugnissen protokolliert, eine schauspielerische Herausforderung. Bleibt zu hoffen, dass wir die Auswüchse dieser schnellen Nummer nun nicht in den folgenden drei Dutzend Tatort-Dortmund-Folgen um die Ohren gehauen bekommen. Hier etabliert sich doch nicht etwa ein neues Paar à la Saalfeld und Keppler, wenn auch noch näher am Feuer geschmiedet, vor Midlife-Crisis und Botox?

Rettung des fast flambierten Chefs bedauert

Alles ist ein bisschen zu markiert in „Alter Ego“. Etwa die Figur Daniel Kossik, Kommissar, Vorzeigeruhrpottler, Sohn eines arbeitslosen Grubenarbeiters und Besitzer einer Stehplatz-Dauerkarte beim BVB, geerdet und, ach! so etwas von direkt. So einer darf es schon einmal bereuen, wenn er gegen Ende eines deutlich zu langen Tatorts den neuen, ungeliebten Chef aus der explodierenden Feuerhölle rettet.

Gerade noch genügend

Fazit: Mehr Tatort, bitte, und weniger Privatleben, weniger „scripted reality“-Dialoge. Dieser erste Dortmunder war eher mau bis lasch, wenn auch, dank des „Die Krux des ersten Tatorts“-Bonus gerade noch genügend: Weil man vom ersten Tatort eines neuen Teams eh wenig erwartet neben der Vorstellung einer Anzahl mehr oder weniger interessanter Ermittler und der Lösung des ersten, nebenbei sich abspulendes Falles.

Note auf der Note auf der „Wie einst Lily“-„Nie wieder frei Sein“-Skala: 4.

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