Kommentatort 12

«Wohnzimmer-Waterboarding»

Düstere Neuigkeiten am 11. September 2011: Da wird doch glatt Till Schweiger kolportiert als neuer Hamburger Tatortkommissar. Nach «Keinohrhasen» und «Zweiohrkücken» nun auch noch «Nullgripsbulle»? Bitte nicht, schreit der Kommentatort und nimmt Zuflucht im neuen Fall der Kripo Ludwigshafen.

Der passt zu 9/11: Eine Lehrerin wurde in einem Zimmerbrunnen ersäuft und blieb wochenlang liegen, vermoderte, setzte Schmeissfliegen und Maden an (der Tatort entwickelt eine Neigung zu immer verhunzteren Leichen). Der überquellende Briefkasten, der Verwesungsgestank, die offene Balkontür: Nichts von alledem habe sein Misstrauen erregt, bemerkt der Nachbar, ein schwarzes Kind aber wäre ihm aufgefallen, sowas wohne nicht hier.

Es finden sich die ersten Verdächtigen, etwa das vorgenannte schwarze Mädchen, dass bei der Wohnung der Toten herumlungerte und eben doch der Aufmerksamkeit des allwissenden Nachbarn entkommen ist. Die einzige Kollegin der Toten, eine junge Referendarin, erregt derweil aus ganz anderen Gründen Koppers Aufmerksamkeit: Doch selbst für den pfälzischen Dépardieu gerät der Blick in ihr Dekollete ein bisschen zu innig. Was es da zu glotzen gebe, fragt die Referendarin – och nichts, berufsbedingte Neugier, er habe nur die Aufschrift auf der Halskette lesen wollen. Stand dort nicht sein eigener Name? Schnitt. Kopper surft eine Homepage an, die dem überforderten Vater unehelicher Kinder das Berechnen seines Fehltritts erleichtern soll. Damit befindet er sich in bester Gesellschaft, denn was Eisner (Tatort Österreich) und Ballauf (Tatort Köln) kann, kann auch Kopper. Schon wieder ein altgedienter Kommissar, der mithilfe unehelicher Kinder als Serienfigur neu lanciert wird?

Aber, ach! es gilt einen Fall zu lösen. Zu beklemmender Musik hat Kommissarin Odenthal einen Alptraum: Da sieht sie, wie die Lehrerin ersäuft wird, man sieht das Gesicht des Opfers unter Wasser und, verschwommen, das Gesicht der Mörderin. Schweissgebadet wacht Odenthal auf und geht in die Küche, wo Kopper sitzt, denn die beiden haben ja eine WG. Weil sie nicht schlafen können, beschliessen sie, die Bude zu putzen, was lustvoll darauf hinweist, dass sogar Tatortkommissare ein Privatleben haben. Zum Glück ist die WG bald sauber und so können weitere Verdächtige beschaut werden: Etwa die kontrollsüchtige Mutter aus Odenthals Alptraum (Florence Kasumba, die schon als Racheengel brillierte), der zwielichtige Kurzhaarhippie aus dem afrikanischen Begegnungszentrum, die zornigen Eltern eines toten Schülers oder der von der Schule geworfene Penäler. Hier jauchzt das gebeutelte Alt-Penäler-Herz, denn dieser Tatort ist sich nicht zu schade, aus einem Schulverweis ein Mordmotiv zu konstruieren. Ja, wenn es schon so weit ist, hat man es selbst eigentlich gar nicht so übel getroffen.

Überhaupt, die Klischees: Man denke an das ewige Gewerkel des KTU’lers mit seinen Fliegenmaden, die Binsenweisheiten über die Vielweiberei in Afrika oder Odenthals Bemutterung des einen Tatverdächtigen. Das pädagogisiert ziemlich heftig, fast so übel wie Odenthals Staatskundeunterricht in der letzten Folge. Das Hauptproblem auch hier: Die Tatorthodoxie der positiven Diskriminierung, die verlangt, dass gesellschaftliche Minderheiten allenfalls abgemurkst werden, in der Regel aber nicht selbst abmurksen, wird von diesem Film lieblos bis zur Spannungslosigkeit durchgezogen. Leider bleibt nach der Lösung des Falls noch viel zu viel Film, und so muss eine gesellschaftliche Problemzone her. Also Genitalverstümmelung! Die wird so schülertheatermässig dargestellt, dass man aufatmet, als erstens die gluckernhafte Mörderin mit Dackelblick gesteht und zweitens der Jauch im Anschluss kommt und nicht die Will (mit ihren berüchtigten Tatort-Nachbearbeitungen). Hoch anrechnen muss man diesem Filmchen, dass Kopper nun doch keine lang verschollene Tochter hat. Man kann den Tatort auch anders neu beleben: Warum etwa nicht Florence Kasumba zur neuen Hamburger Tatortkommissarin machen? Die hat das drauf.

Note auf der «Wie-einst-Lily»-«Nie-wieder-frei-Sein»-Skala*: 2.5

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