Kommentatort 51: Guter Tatort, schlechter Tatort

Morgen ist ein tatortfreier Sonntag. Das ist nicht tragisch, denn nach dem Tatort ist vor dem Tatort. Daneben lässt eine solche Pause Zeit, um die vergangenen Kommentatorte zusammenzufassen. Mittlerweile gibt es fünfzig Kommentatorte, und ausserdem auch einige spannende Berichte in den Medien.  Ein Grund zum Feiern, ja, und ein Anlass, um zurückzuschauen. Bevor es so weit ist, eine Sammlung von Links auf Seiten, die sich auf spannende Art und Weise mit dem Tatort beschäftigen.

Informativ und mit dem wohl profundesten Hintergrundwissen, welches man sich wünschen kann, kommt die Seite www.tatort-fundus.de daher. Ebenfalls findet man hier ein tolles Forum, wo sich Gleichgesinnte über aktuelle und weniger aktuelle Tatortfolgen austauschen.
In Sachen Facebook und Tatort führt nichts an der Gruppe „Tatort-Fans“ vorbei. Hier treffen sich und diskutieren sowohl in Echtzeit, während der Ausstrahlung, als auch nachher und vor der nächsten Erst- oder Wiederausstrahlung ein Haufen engagierter Fans. Unbedingt Mitglied werden, wer es noch nicht ist.
Eine sehr spannende Form der Auseinandersetzung mit dem „Tatort“ findet man unter dieser Adresse. Hier äusserten sich, im Auftrag der Schulthess Juristische Medien AG, verschiedene juristische Experten zu den einzelnen Folgen. Das muss nicht immer gleich lesenswert oder nur schon informativ sein, wartet aber immer wieder auf mit überraschend nüchternen, an der Rechtspflege orientierten Kommentaren auf. Leider wird die Sparte in der letzten Zeit nicht mehr fortgeführt.

 

Die letzten dreizehn Kommentatorte auf einen Blick. Die Darstellung geht zurück bis zu Kommentatort 37.

Frankfurt

Was hoffte der Kommentatort nicht nach der superben Frankfurter Folge „Es ist böse„, die von einem psychopathischen, unauffälligen Mörder handelte. Dramaturgisch nicht schlüssig war, warum Mey sich zum Kriminaldauerdienst versetzen lässt, nur, um aus einer Intuition heraus das entscheidende Indiz zu finden. Dennoch legten die Frankfurter dadurch, dass Mey und Steier nicht nur auf Reize und Tourette reduziert werden, einiges an Plastizität zu und lassen auf viele weitere Folgen hoffen. Eine Hoffnung notabene, die leider nicht erfüllt wird. Die vermeintliche Zote mit dem angedrohten Ausstieg von Conny Mey bewahrheitete sich in der Realität. Die Schauspielerin Nina Kunzendorf steigt nach nur fünf neuen Frankfurtern aus.

Hamburg

Ebenfalls zu reden gibt der Hamburger Tatort. Die Messlatte für Cenk Batus letzten Einsatz als Verdeckter Ermittler lag nach dem gloriosen „Der Weg ins Paradies“ unerreichbar hoch. Dass sich die Verantwortlichen bei „Die Ballade von Cenk und Valerie“ für einen solchen verschwurbelten Geschmacks-Limbo entschieden haben, tut weh. In seinem letzten Tatort mutiert Batu zum Kanzlermörder. Das gefällt als Anlage, während die Umsetzung langweilt. Dem Actionfilm fehlt Handlung, dem Thriller Spannung. Ob es mit dem Charakterkomparsen und Pornosynchronsprecher Til „Tschauder-Tschiller“ Schweiger besser wird, darf bezweifelt werden.

Ludwigshafen

Im Ludwigshafener Tatort „Der Wald steht schwarz und schweiget“ wird gewandert, was das Zeug hält. Heraus kommt der erste erträgliche Odenthal-Kopper-Tatort seit Kommentatortgedenken. Odenthal, die ihr Rotkäppchen gelesen hat, befindet sich auf der Heimreise im Pfälzerwald, als sie von Kopper überschwatzt wird, bei der Leiche vorbeizuschauen. Dort wird sie von einer Bande Jugendlicher entführt und blüht in der Folge als Jugendarbeiterin und Wandererin auf. Verbunden wurde das Fall mit einem Fall-nach-dem-Fall. Nach diesem Tatort war mitten im Tatort: Konnte doch auf einer multimedialen Plattform der ganze Fall noch einmal nachrecherchiert werden.

Luzern

Der neue Luzerner Tatort „Skalpell“ wurde mit einer grossen Premiere im Imax-Kino gefeiert. In diesem Tatort gesellte sich eine neue Mitermittlerin in Kommissar Flückigers Seite, Liz Ritschard, gespielt von Delia Mayer. Die Macher greifen auf einen vorsichtigen „Problemzonen“-Tatort zurück. Leider kommt besonders das Thema Intersexualität in den Dialogen flach heraus. Eine starke Schlussviertelstunde begeistert als Persiflage eines Polizeieinsatzes, könnte aber auch todernst gemeint gewesen sein.
Unmittelbar nach dieser Folge kam gleich der nächste Tatort auch wieder aus Luzern. Die Saisowiederöffnung fiel schlimm aus. In “Hanglage mit Aussicht” bleibt uns kein Klischee erspart: „Bergbauer geht mit Heugabel auf Helikopter los“; „Maja Brunner verkörpert Maja-Brunner-Verschnitt“; „Kommissar nervt sich auf Privatbank namens ‘Rütlibank’ über Pauschalbesteuerung reicher Ausländer“. Das sind nur ein paar Beispiele aus einer sich deutlich länger als 90 Minuten anfühlenden Reihung von Plattitüden: kein Klischee zu pauschal, kein Stereotyp zu monoton, keine Aussenaufnahme zu postkartenhaft. Was diese Klischee-Häufung betrifft, besonders die Aussenaufnahmen, fragt es sich, ob hier eine von der ARD aufgetragene To-do-Liste abgearbeitet wird.

Köln

Man merkt dem Kölner Tatort “Fette Hunde” an, dass es Ziel des Regisseurs Andreas Kleiner war, den Film vom durchschnittlichen Tatort inhaltlich wie ästhetisch abzuheben. Er setzt das Thema „Bundeswehrsoldaten kehren aus Afghanistan zurück“ in einer äusserst dichten Weise um. Heraus kommt ein unaufgeregtes Kriegsheimkehrerdrama, gewürzt mit Thriller-Elementen, derweil viele tatorthodoxe Krimielemente zurückgefahren werden. Die Kommissare kommen den Zuschauern nahe wie kaum zuvor, menscheln und kuscheln, saufen und tanzen, als ob es kein Morgen gäbe.

Kiel

“Borowski und der stille Gast” begeistert mit einem richtig fiesen Mörder, kongenial besetzt mit Lars Eidinger. Dadurch, dass man ihn von Anfang an als Mörder erkennt, wird viel Sendezeit frei; zu viel – sie wurde nicht genutzt. Es fehlt ein weiterer Konflikt, der die Handlung vorwärtstreiben würde. Mit der Geschichte-in-der-Geschichte des abermals bei Borowski Unterschlupf findenden Chefs ist es nicht getan.
Der Tatort „Borowski und der freie Fall“ macht auf Verschwörungsthriller: Der Todesfall Uwe Barschel steht im Hintergrund des Falles. Bei Licht betrachtet mag die Auflösung wenig zu überraschen, dafür aber hat dieser Tatort viel über das Genre ausgesagt. Der Tatort kann in viele Richtungen um sich greifen. Bei aller Gestaltungsfreiheit ist der Tatort mehr als ein für sich selbst stehender Film, nämlich Glied in einer langen Reihe von Filmen. Der Spagat zwischen Unikum und Glied einer Reihe ist hier bestens gelungen.

Bremen

Der Bremer “Hochzeitsnacht” ist “whodunnit at its worst”, sogar für hiesige Verhältnisse: Der Bremer Tatort ist ja seit jeher ein guter Vorwand zum Wäsche bügeln. Hier langweilen sowohl die Ermittlung auf der Vergangenheitsebene als auch jene in der Gegenwart. Besonders deprimierend ist, was hier alles in die letzten fünfzehn Minuten gepackt wird. Erst soll es der nach dem Überfall erschlagene Vater des Bräutigams gewesen sein, dann der Bräutigam, dann die Braut. Und dann können die Geiselnehmer entkommen – um sich von Stedefreund mit einer Ohrfeige stoppen zu lassen der eine, der andere, um die letzte Komplikation des Tatorts zu ermöglichen.

Dortmund

Gleich vier neue Ermittler gönnt sich Dortmund. In allerbester GTST-Manier (Guter Tatort, schlechter Tatort) balgen sich die vier in ihrem Erstling „Alter Ego“ um die neunzig Minuten Sendezeit. Der Kommentatort wünscht sich mehr Tatort und weniger Privatleben, weniger „scripted reality“-Dialoge. Dieser erste Dortmunder war lasch, wenn auch, dank des „Die Krux des ersten Tatorts“-Bonus gerade noch genügend: Weil man vom ersten Tatort eines neuen Teams eh wenig erwartet neben der Vorstellung einer Anzahl mehr oder weniger interessanter Ermittler und der Lösung des ersten, nebenbei sich abspulendes Falles. Wie es in Dortmund weitergeht, lesen Sie am 11.11. an dieser Stelle.

Konstanz

Im Konstanzer Tatort “Nachtkrapp” gesellt sich ein neuer Schweizer Ermittler, Matteo Lüthi, zu den Schlafwandlern Blum und Perlmann. Der neue Schweizer Ermittler gefällt. Es wird dem Konstanzer Tatort nicht schaden, wenn er bald wieder zum Einsatz kommt. Sein Nachrichtendienst-Hintergrund wirkt gesucht: Frau Blum hat schon Recht, wenn sie ihm fadengerade ins Gesicht sagt, dass der Bodensee imfall nicht am Hindukusch liege. Besonders lächerlich wirken die Traumata, die Matteo Lüthi quälen. Als ob man beim Nachrichtendienst des Bundes durch Blut waten müsste, und nicht viel eher meterhohe Aktenstapel abarbeiten oder undichte Stellen im Grossraumbüro ausfindig machen müsste.

Stuttgart

Im neuen Stuttgarter Tatort „Tote Erde“ müssen die Ermittler sich mit einer geballten Ladung privater Turbulenzen herumschlagen. So reist die junge Nachbarin von Kommissar Lannert ab, verlässt Stuttgart und damit ihren immer mal wieder nicht nur auf ein Glas Wein vorbeigekommenen Nachbarn. In Kommissar Bootz’ Privatleben tun sich Abgründe auf wegen seiner schwer kranken Frau. Durch diese Komplikationen bleibt viel Zeit zum Pommes Chips oder Popcorn holen. Man muss ja nicht jeden Sonntag den Tatort neu erfinden. Der neue Stuttgarter Tatort ist Hausmannskost. Fantasielos ist mit vertuschten Umweltschweinereien im Unternehmerbereich das Thema gewählt: Hatten wir doch den Fall eines ausser Rand und Band geratenen Unternehmertums bereits in der vergangenen Stuttgarter Folge – dort aber wesentlich grandioser und süffiger.

München

Im Münchner Tatort geht es so tatorthodox zu und her, wie es nur möglich ist. Dennoch stechen die Filme erfreulich oft aus dem Tatortmittelmass heraus. So kontinuierlich arbeitet der Münchner Tatort an seinen Figuren, dass es an Revolution grenzt, wenn, wie geschehen in “Ein neues Leben”, die Kommissare für einmal auf ausgiebige Autofahrten verzichten und den Fall stattdessen auf einem Spaziergang besprechen. “Ein neues Leben” ist kein Glanzlicht der Reihe, besonders nicht in München und Umgebung. Trotzdem ist es ein Tatort mit einem ebenso gesuchten wie gefundenen Motor sowie mit einer Mörderin, die von A bis Z überzeugt und, ja, stellenweise auch mächtig einschüchtert.

 

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