Kommentatort 56: „Das goldene Band“

Der neue Hannoveraner Tatort „Das goldene Band“ fällt deutlich ab hinter „Wegwerfmädchen“, seinem ersten Teil von letzter Woche. Dafür darf Kommissarin Lindholm auf eine Auslandreise.

Ei, schaut mal, was mein Trojaner alles kann. Kommissarin Lindholm (links) wärmt sich an einem Pappbecher Kaffee, während der Hacker vom Dienst in Echtzeit die Mails des Verdächtigen liest. Kripokommissarin Prinz, die lieber beim LKA wäre, führt ein kesses Grinsen, das von nichts aus der Ruhe gebracht werden kann. Zuletzt von Verstössen gegen die Abhörgesetze.
Ei, schaut mal, was mein Trojaner alles kann. Kommissarin Lindholm (links) wärmt sich an einem Pappbecher Kaffee, während der Hacker vom Dienst in Echtzeit die Mails des Verdächtigen liest. Kripokommissarin Prinz, die lieber beim LKA wäre, führt ein kesses Grinsen, das von nichts aus der Ruhe gebracht werden kann. Zuletzt von Verstössen gegen die Abhörgesetze.

 

Der im ersten Teil „Wegwerfmädchen“ des Hannoveraner Doppeltatorts inhaftierte Mörder und Mädchenwegwerfer führt ein sorgenfreies Leben im Knast. Geschützt vom Boss seiner Rockerbande „Hunnen“ sitzt er seine Strafe unter Vorzugskonditionen ab. Quietschvergnügt drangsaliert und vermöbelt er seine Mithäftlinge. Doch wehe, wenn die schützende Hand über ihm weggezogen wird: Dann findet sich schnell ein Dutzend Häftlinge, die allesamt chorisch aussagen, jeder einzelne von ihnen habe den Charakterlump auf dem Gewissen.

Scheuklappenloses Ermitteln mit Zickenkrieg

Als Charlotte Lindholm vom LKA von diesem Mord erfährt, wähnt sie die Gelegenheit gekommen, den alten Fall neu aufzurollen. Letzten Sonntag wurde ja nur der Handlanger verhaftet, keinem seiner Hinterleute ging es an den Kragen. Getrieben von der Frage, wer das Wegwerfmädchen so bestialisch vergewaltigte, ermittelt Kommissarin Lindholm ohne Scheuklappen. Sie nimmt sogar, nach einigem Sträuben, die Mithilfe einer einfachen Kripo-Ermittlerin, Frau Prinz, an. Ihre Zickenkrieg und ihr Kompetenzgerangel nerven entschieden und sind leblos inszeniert, als ginge es nur darum, ihr erfolgreiches Zusammenarbeiten noch eine kleine Szene lang hinauszuschieben.

Und der Haifisch, der hat Wanzen

Ihre Ermittlungen führen zum Einsatz verbotener Trojaner, zu ausgedehnten Abhör- und Überwachungsaktionen und enden im Dunstkreis eines dubiosen Immobilienmaklers. Dort findet Lindholm zu ihrem Erstaunen auch ihren Liebhaber Jan Liebermann, der als Journalist und verkappter Biograf versucht, dem Immbolienhai Korruption nachzuweisen. Nicht mehr lange, und die konspirative Spirale hat sich ganz nach oben geschraubt. Denn letztlich versuchte der verwanzte Haifisch nur, einen tatterigen Regierungsminister bei Laune zu halten: Deshalb die Party mit den „Wegwerfmädchen“. Sie waren eigens importiert worden, damit der Gesetzgeber neue Bestimmungen einführe, die den Immobilienheini handstreichartig stinkreich machen sollen.

Randfigur der holzkopfbearbeitenden Industrie

„Das goldene Band“ fällt deutlich hinter dem ersten Teil zurück. Da gewinnt einmal die private Beziehung der Kommissarin zu ihrem Liebhaber aus der holzkopfbearbeitenden Industrie zu viel Raum. Im letzten Teil war der Kommentatort noch froh um diese kurzen, behaglichen Zwischenspiele – vor einer Woche war der Fall aber auch um einiges grauslicher und beklemmender. Heute ‚glänzt‘ die Kommissarin in Empörung, die zwar nachvollziehbar, dramaturgisch aber nicht immer zwingend ist. Dass einmal mehr ohne richterliche Befugnis in das Privatleben der Verdächtigen eingedrungen wird, lassen wir beiseite, gehört dies doch in den aktuellen Tatort wie der Vorspann und die anschliessenden Diskussionen in den Fanforen.

Werden alle glücklich und froh?

Warum es aber auch noch den Ausflug nach Weissrussland brauchte, und wieso man diese Aufnahmen tatsächlich dort machte, wo es doch jede auch nur einigermassen weissrussisch aussehende Landstrasse im Hannoveraner Umland getan hätte, bleibt ein Rätsel. Dieser kurze Ausflug in den Osten scheint nur den Zweck zu haben, in aller Eile die dort grassierende Beamtenkorruption ins Bild zu schubsen und Kommissarin Lindholm ein letztes (?) Mal in die starken Arme ihres Liebhabers zu treiben. Kaum nämlich, dass sie in Weissrussland eintrudelt, um sich um das Kind ihrer Kronzeugin zu kümmern, da wird sie auch schon von einem bestechlichen Bullen mit dem Tod bedroht. Fürchten freilich braucht man sich nicht, denn dieser Schatten, der da durch den Bildhintergrund huscht, als Lindholm zur Erschiessung an einen Dachbalken gefesselt wird, das war kein verirrter Mikrofonträger vom Set – ihr weisser Ritter ist es, mit dem sie nie mehr ein Wort reden wollte. So wird sie gerettet, ebenso das Kind, und es werden alle glücklich und es werden alle froh.

Seifenopernsiederei

Alle werden glücklich und alle werden froh? Nein, nicht ganz alle. Denn in einer der glitschigeren Anwandlungen von Seifenopersiederei, die es diesen Abend zu gewärtigen gilt, trennen sich die Wege der Kommissarin und des Zuarbeiters der holzkopfbearbeitenden Industrie. Das lässt Zeit für den pathetischsten Satz der 2012er-Tatort-Produktion (er zu ihr, es ist Schluss: „Ich wäre gern der Richtige gewesen für euch“). Natürlich bleibt auch danach noch Zeit, Lindholms simmernde Wut angesichts des entkommenden Immbolientycoons ins Bild zu setzen. Ehrensache, ist ja ein Krimi, nicht GZSZ.

Was von „Das goldene Band“ bleibt

Gute Zweiteiler sind gut, sehr gute Einteiler sind besser. Ein sehr guter erster Teil schützt vor Mittelmass nicht. Privatleben lenkt von Ermittlungen ab.

Note auf der «Wie-einst-Lily»-«Nie-wieder-frei-Sein»-Skala*: 4.

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