Kommentatort 61: Tatort „Kaltblütig“

Der neue Ludwigshafener Tatort „Kaltblütig“ wartet mit einem Autounfall, einer Ménage-à-trois, Bacchus, Lukullus, Pink Floyd und einem Kindheitstrauma auf. Dank der hiesigen Vorarbeit geht es in Ordnung. Der perfekte Film zum Knöpfe annähen oder Socken zusammenlegen.

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Kaltblütig oder heissblütig, das ist hier die Frage! Wo genau schaut der pfälzische Dépardieu mit deutscher statt russischer Staatsbürgerschaft da hin? Der Gentleman geniesst ja schliesslich schweigend, schon klar – aber, man wird ja wohl noch fragen dürfen. Dass er keinen innigen Augenkontakt zu der Verdächtigen sucht, erklärt sich ja wohl einigermassen von selbst. Wie aber kommt der schwarze Kasten oben rechts ins Bild? Was ist das für ein schwarzer Kasten, dort oben rechts im Bild? Das wird doch wohl keine Bräunungslampe sein? Kein Scheinwerfer (obwohl goldrichtig ausgerichtet!)? Ach, so schnöde an die Fiktionalität des Tatorts erinnert zu werden!

Die Freundin des Firmenchefs Frank Brenner (Götz Schubert), Roza Lanczeck (Karolina Lodyga), kommt bei einem Autounfall ums Leben. Ihr Geliebter hat kurz vor dem Unfall am Wagen herumgefrickelt. Die Bremskabel wurden aufgeschnitten. Wer, wenn nicht Brenner, sollte es gewesen sein? Vielleicht wurde er vom bevorstehenden Kind überfordert? Oder er wollte zu seiner von ihm geschiedenen Frau, Katharina Brenner (Anna Loos), zurück, nachdem sie ihn die ganzen Jahre seit der Scheidung durchfütterte und bei sich wohnen liess? Frank Brenner wird verhaftet; er schweigt wie ein Grab, und so tun die Kommissarinnen Odenthal (Ulrike Folkerts) und Kopper (Andreas Hoppe), was sie am besten können – nach Herzenslust Spurenbilder und Fakten sowie Indizien interpretieren, dass es nur so klescht und tuscht.

Üble Nachrede und Vorfreude aufs Kind

Immerhin schafft es die Exfrau des Verhafteten, sich bei der ersten Begegnung mit den Kommissarinnen unbeliebt zu machen: Nämlich ihndem sie petzt, so von wegen, ihr Ex habe die Neue gar nicht heiraten wollen, und das Kind könne ihm gestohlen bleiben, weil er keine Verantwortung übernehmen wolle für seine Handlungen. Sie wird nicht müde, diese Sicht der Dinge zum Besten zu geben. Doch Odenthal und Kopper lassen sich nicht an der Nase herumführen (obwohl sich Koppers Riechscheit vorzüglich hierfür eignen würde). Frau Brenners Sicht der Dinge passt einfach nicht zusammen mit den Aussagen aller anderen, die die Tote und den Firmenbesitzer kannten. Sie seien ein hell bis über beide Ohren verliebtes Paar gewesen, voll Vorfreude auf ihr Kind. Auch will es nicht mit der Verantwortungslosigkeit des Verhafteten zusammenzupassen, dass er sich so aufreibend um seine Firma und die dort Angestellten kümmert. Ein verantwortungsloser Hallodri würde anders handeln.

Pink Floyd im Probekeller

Die Staatsanwältin aber sehnt sich nach ihrem Wochenende und beharrt auf der Anklageerhebung: Alles spricht ja gegen Frank Brenner. Odenthal und Kopper bleibt nur Zeit bis Montag, um dies zu verhindern. Odenthal ist sich sicher, dass der Hauptverdächtige es nicht gewesen ist. Es beginnt das tatortübliche Hin und Her und Kreuz und Quer von Hypothesen und Verdächtigungen: War es die psychopathische Schwester des Verhafteten? War es der Vorarbeiter der Fabrik? Zwischen den auslaugenden Verdächtigungen darf sich Kopper zu seinen Jungs in den Probekeller bewegen, um mit ihnen Bier zu zischen und Pink Floyd zu schrammeln, während sich Odenthal in Pantys vor dem Fernseher räkelt und Beweismaterial sichtet. Die Ungleichgewichte zwischen Arbeit und Freizeit werden auch im Tatort „Kaltblütig“ emsig durchdekliniert, und auch Lukullus und Bacchus frönen die Spassklemme und der Südländer-im-Geist nach Lebern- und Magenkräften.

Ohne Zeigefinger, dafür mit Trauma

Erfreulich ist, dass Odenthal im Tatort „Kaltblütig“ ohne Zeigefinger auskommt, ohne erbauliche Gespräche mit den Verdächtigen oder staatskundliche Ausführung in Sachen Recht und Unrecht. Das ist, man fürchtet sich, es zu sagen: bewährte Hausmannskost. Spannung kommt nicht auf, dafür wird, einigermassen bildstark, ein Kindheitstrauma (über-)inszeniert. Die Auflösung des Mordes gerät wählerisch – für Ludwigshafen trotzdem in Ordnung. Der Kommentatort atmet auf, dass im Tatort „Kaltblütig“ schon zum zweiten Mal in Folge weder eine Leiche entführt noch ein folkloristisch verkleideter Umzug zwecks Mädchenbeschneidung veranstaltet wurde. Der Tatort „Kaltblütig“ ist der typische Tatort zum Knöpfe-an-die-Kittel-Nähen – ein Fortschritt, ist der Ludwigshafener Tatort ansonsten doch eher die Gelegenheit, sich die Knöpfe schnaubend abzureissen, weil sonst grad nix los ist.

Was vom Tatort „Kaltblütig“ bleibt

In fast jeder anderen Tatort-Stadt wäre dies allenfalls eine haarscharfe 4, also gerade noch so knapp genügend. Der Tatort „Kaltblütig“ profitiert von der konstant bescheidenen Vorarbeit des Teams (es gibt Ausnahmen) und sichert sich einen Viertelnotenpunkt zusätzlich. Vielleicht sollte Odenthal nächstes Mal mit Kopper zu den Jungs in den Keller, stage-diving treiben. Oder so.

Note auf der «Wie-einst-Lily»-«Nie-wieder-frei-Sein»-Skala*: 4.25.

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