Kommentatort 63: Tatort „Schmutziger Donnerstag“

Der neue Luzerner Tatort „Schmutziger Donnerstag“ brilliert mit Ironie und herrlichen Bildern. Die Mordserie im Fasnachtstaumel zeigt endlich, was das Team drauf hat.

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Wimmelbild mit zwei verdeckten (?) Ermittlern. Selten noch haben sich Tatortkommissare auf so lustvolle Art auf die Schulter genommen, wie es das Luzerner Team im sehr sehenswerten neuesten Innerschweizer Fall tut. Wo stecken sie denn nun, Liz Ritschard und Reto Flückiger? Erlaubt seien nur einige wenige Hinweise. Erstens, die beiden sind nicht am Fasnächtlen, erster Eindruck hin oder her. Zweitens: Ja, die beiden tragen, für einmal, Uniform (oder fällt etwa einer von ihnen als Polizist aus dem Rahmen?). Drittens: Die versteckte Ermittlerin nimmt humorig den kommenden Münsteraner Kalauer-Kracher vorweg. Und, last but not least: Kommissar Flückigers Kostüm könnte träfer, schmissiger, bissiger nicht auf eines seiner wesentlichen Charaktermerkmale hindeuten – da kann man nur sagen: selten sah Flückiger so wie aus dem Ei gepellt aus!

 

Man kann Reto Flückiger erste Amtshandlung im Tatort „Schmutziger Donnerstag“ nachvollziehen. Im Morgengrauen des Schmutzigen Donnerstags steigt er in sein Boot und flieht aus der Stadt. Damit ist er allein, alle seine Kollegen vergnügen sich, im Bett die einen, die andern im Getümmel, sternhagelvoll allesamt. Liz Ritschard vergnügt sich mit ihrer Freundin im Bett, während Schmidinger als Ganove verkleidet die Stadt unsicher macht. Kommissar Flückigers Flucht misslingt: auf halbem Weg erreilt ihn ein Anruf: Es hat einen Mord gegeben. Als er umkehren will, springt der Motor nicht an, weshalb er an den Tatort paddelt. Ein schönes Bild – sieht man nicht alle Tage.

Messermord in Menschenmenge

Mitten in einer Menschenmenge ist Franz Schäublin, Vorsteher des Luzerner Bauausschusses sowie Aktivmitglied der „Zunft der Wächter am Pilatus“, erstochen worden. Sein Mörder schlug, sinnigerweise, als Tod verkleidet zu. Ungeschoren entkommt er im fasnächtlichen Maskentreiben. Schäublin war einer der vorzeigbarsten Bürger der Stadt, in Politik und zünftisch zünftig mit von der Partie, zu Hause ein religiöser Sauber- und Biedermann. Dieser Ruf hinderte ihn nicht daran, an der Fasnacht seine bürgerliche Maske fallenzulassen. So hat er mit Kumpanen (?) eine Prostituierte gebucht, mit KO-Tropfen ausser Gefecht gesetzt und gruppenvergewaltigt: Wurde er etwa deshalb ermordet?

Es ist ein Serienmörder!

Dieser erste Verdacht erhärtet sich nicht; andere Motive müssen hinter der Ermordung stehen, nicht Schäublins sexuellen Vorlieben. Bald geraten die Ermittlungen unter Zeitdruck. Die fasnächtlichen Morde häufen sich, der Tatort „Schmutziger Donnerstag“ nimmt Fahrt auf: Ein Serienmörder treibt sein Unwesen im entgrenzten Luzern. Zwischen Fasnachtstaumel, Übermüdung und Katern bemühen sich die Kommissare, den Fall zu lösen. Das Thema Fasnacht wird im Tatort „Schmutziger Donnerstag“ lustvoll aufgegriffen. Stimmig sind die kleinen Details, etwa, dass Schmidinger dem Flückiger als Knacki verkleidet einen Moralvortrag hält. Mit den Verkleidungen wird aber nicht nur Schenkel geklopft, sondern auch eine unheimliche Stimmung generiert. Daneben sind sogar die kaum zu vermeidenden Kalauer stimmig: so sieht man Flückiger als Gockel und Mattmann als Indianer-Häuptling verkleidet. Die Ironie ist dabei für Tatortverhältnisse subtil und kein Selbstzweck, wie etwa neulich in Saarbrücken oder seit zehn Jahren in Münster.

Wer mit der Nase auf dem Touchscreen …

Gelungen sind die Szenen des gefesselte, geknebelten und unter Drogen gesetzten Flückiger. Wie der sich abmüht, mit der Nase sein iPhone zu bedienen, und wie er eifrig missverstanden wird von einer Spracherkennungssoftware namens Siri, hat Biss und Schmiss. Ebenfalls dankbar ist man, dass ein gewisser Zuckerbäcker namens Rene Baumann, besser bekannt als DJ Bobo, im Tatort „Schmutziger Donnerstag“ nur einen ganz kleinen Cameoauftritt hat, der ganz ohne Gesangseinlage auskommt (wie es schon bei Maja Brunner der Fall war, ebenfalls dankbar zur Kenntnis genommen vom Kommentatort). Kaum dass Flückiger sich aus seiner misslichen Lage befreit hat, will er auch schon wieder weiter ermitteln. Ritschard fragt ihn, ob er denn schon wieder fit sei, so kurz nach seiner Überwältigung und trotz der verabreichten Drogen. Klar sei er fit, antwortet Flückiger, voll total klar sogar sei er. Dann aber stellt er sich selber infrage, als er Ritschard nur einen Satz später erklärt, er wolle Kinder mit ihr haben.

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Das Schaf, der ET und der Bobo. Herrlich und bildstark ist auch die kleine auflockernde Einlage mit dem mittels Drogen aus dem Verkehr gezogenen Kommissar Flückiger. Endlich wissen wir Zuschauer, was einem chronisch überarbeiteten Kriminaler so alles durch den Kopf geht, wenn er stoned ist. Mit Schäfchenzählen jedenfalls kam der wackere Recke nicht gerade eben weit. Dafür nimmt sich die nächtliche Erscheinung des Ausserirdischen um einiges plastischer aus. Ja, und auch der Wutanfall von DJ Bobo geht in Ordnung – ist es nicht herrlich, mit was genau der Jähzorn da auf die alte Rostgurke eindrischt? Der Tatort „Schmutziger Donnerstag“ macht auf jeden Fall die Auswahl der Bilder schwierig wie sonst kaum je. Chapeau.

Kommissar Zufall, der Urin-Therapeut

Der Tatort „Schmutziger Donnerstag“ ist ein gelungener, wunderschön gefilmter Tatort. Die eine und andere Szene mit Ritschard mag zu viel des Guten sein. Nicht, dass ihr Coming-out lieblos inszeniert worden sei. Trotzdem wird ihr, die bisher als Privatperson ungreifbar war, gelegentlich ein bisschen gar doll auf den Zahn gefühlt. Die in anderen Luzerner Tatorten meist rabiat belehrenden Wikipedia-Passagen sind erfreulich zurückgenommen, und auch der iPhone-Scherz darf nicht fehlen, wenn Flückiger sich wundert, dass so eine mobile Googelei schneller zu Resultaten führt als eine ganze Abteilung von Himtergrundermittlern. Auch schön ist, dass hier ein anderer, bisher kaum gesehener Luzerner Einzug hält. Dichter Nebel, der das halbe Bild verdeckt; man hat ihn bisher, wohl in Huldigung der tourismustechnischen Verwertbarkeit der Bilder, recht selten nur gesehen. Im Tatort „Schmutziger Donnerstag“ tappen die Kommissare dafür gleich durch einen doppelten Nebel, einmal durch den tatsächlichen und dann noch durch den Nebel im übertragenen Sinn (Was hat ET mit den Morden zu tun? Mit wem war Ritschard im Bett? Wie lange dauert ein amourös-alkoholischer Kater? Hat DJ Bobo zu viel Stanley Kubrick geguckt? et cetera). Entsprechend seltsam nehmen sich die Ermittlungen aus: Ritschard ist total verkatert und immer kurz vor dem Kotzen, während Flückiger wie gehabt auf seinem schwer nachvollziehbaren Egotrip ist, gewissermassen Kommissar Zufall und Urin-Therapeut in Personalunion. Was gefällt ist, dass das Hintergrundteam der Ermittler sich stärker und schlüssiger zeigt denn je. Besonders lobend zu erwähnen ist hier die von Martin Klaus gespielte Figur Marcel Küng, der sich dem launigen Chef resolut entgegenstellt.

Starke letzte Verwandlung

Es bleiben Minuspunkte: das Thema Homosexualität wird im Tatort „Schmutziger Donnerstag“ stellenweise etwas verkrampft aufgenommen. Ritschard zeigt es unverkrampft, während die Kontraste zum homophoben Fasnachtsmilieu etwas scherenschnittartig sind. Das Ende, der Showdown, die letzten zwei, drei Minuten, sind nicht so gelungen. Die anbiedernde Kartenspielerei Flückigers vor dem Abspann hätte es nun wirklich nicht gebraucht. Auch wird nicht klar, wie der Mörder damals seinen Tod vortäuschte. So oft wird es in Luzern wohl auch keine unbekannten Leichen geben, die man als seine eigene ausgeben kann. Das alles sind lässliche Einwände angesichts der letzten Verwandlung des Mörders. Da kann man noch so lange alle Fasnächtler auffordern, die Masken abzulegen und sich abzuschminken, wenn der Mörder zu einer solchen Verkleidung greift!

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Schmidinger, der geschmeidige Karrierist, zeigt mit einem Mal Anwandlungen eines exotischen Fernwehs. Auf den Vorschlag des ein bisschen den Überblick verlierenden Kommissars, die Fasnacht doch ganz einfach abzublasen, um so den Sereienmörder zu stoppen, geht er nicht wirklich ein, und auch nicht vertieft. Anstelle des Kriegsbeils genügt dem Hierarchie-Fetischisten ein kühler Blick sowie ein paar an die versammelte Fasnachtsrunde gerichtete, faule Sprüche. Er lässt Flückiger die Hosen auch ganz ohne Säge runter. Mit dem gemeinsamen Konsum einer Friedenspfeife muss man nicht wirklich rechnen.

Was vom Tatort „Schmutziger Donnerstag“ bleibt

Sie können es! Wer hätte gedacht, dass der Luzerner Tatort ausgerechnet bei der Affiche „Mordserie an Fasnacht“ endlich beweist, was man alles drauf hat.

Note auf der «Wie-einst-Lily»-«Nie-wieder-frei-Sein»-Skala*: 5.25.

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Eine gekürzte Fassung dieses Kommentatorts erschien auf www.tatort-fundus.de.

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