Der neue Saarbrückner Tatort „Eine Handvoll Paradies“, erst der zweite Fall des hiesigen Teams, lässt hoffen, dass es bald der Letzte ist.
Rüdiger «Rüde» Sutor, ein Mitglied der Rockergang „Dark Dogs“, wird tot an einer Landstrasse gefunden. Der Fall ist für den Moped fahrenden Kommissar Jens Stellbrink klar: Das ist nichts für die Mordkommission, das ist ein Fall für die Verkehrspolizei. Kollegin Lisa Marx, die Motorrad statt Motorroller fährt, ist da ganz doll anderer Meinung. Klaro, liegt Stellbrink falsch – die kleine, zotige Konfrontation zwischen ihm, dem Liegenlasser, und Kollegin Lisa Marx, der Anpackerin, hat einzig den Zweck, die Differenzen zwischen ihnen zu „vertiefen“. Am Ende ist es Mord durch Genickbruch.
Motorrollerfahrer untersucht Bikerleiche
Der tote Biker war Mitglied einer gefürchteten Rockergruppe, der „Dark Dogs“; völlig nackt, jedenfalls ohne Lederkutte, liegt er da und lässt sich von einem Motorrollerfahrer begutachten. Da die Rocker sich den gewieftesten Rechtsanwalt leisten, brausen sie bald schon auf und davon, und die Kommissare haben das Nachsehen: Es wird von Stellbrink ebenso eifrig mimisch nachgestellt, wie er es fluchend betont. Dass keiner der „Dark Dogs“ der Mörder ist, glaubt man dem Tatort „Eine Handvoll Paradies“ sofort, denn so, wie man die Rocker kennenlernt, traut man denen eher zu, dass sie alle gemeinsam vom Motorrad steigen und den Fernverkehrsbus nehmen, als dass eine Intrige in ihren Reihen gedeihen könnte.

Bellende Rocker beissen nicht
Weiter werden clevere Drogendeals eingefädelt und in der Mitte der, ach! wie harten „Dark Dogs“ tauchen ein Verdeckter Ermittler und eine Transsexuelle auf. Das scheint das Maximum an Provokation zu sein, welches die Tatort-Macher den Mackern der Motorradklubs zutrauen: Scharf auf ein Frauchen zu sein, welches ein Männchen ist. Hierin ähnelt der Tatort «Eine Handvoll Paradies» frappant dem Münsteraner Vorgänger „Zwischen den Ohren„, wo es ein Motorradfahrerverein ebenfalls mit einer Hosenrolle zu tun kriegte. Um den Handlungsstrang des Verdeckten Ermittlers und der Asiatin lagert sich die einzige „Spannung“ des Abend ab, die nicht sofort von Stellbrink-Marx-Dubois vergeigt wird. Dass die Rocker nicht mit den Bullen gemeinsame Sache machen, weil sie ganz grosse Buben sind, die ihre Angelegenheiten unter sich regeln, wird so schülertheaterhaft betont, dass man sich freuen würde, wenn diese, ach! wie grossspurig betonte Grimmigkeit auch einmal auf Handlungsebene angetippt würde. Doch nicht einmal die Entführung des Kommissar Stellbrink führt zu Spannungsmomenten, und selbst die Szene, wo man erstmals ein ganz klein wenig um den Verdeckten Ermittler bibert, wird von der Nervensäge Stellbrink und seiner nervensägenden Kollegin Marx in einer Hanswurstiade versemmelt.

Die Unterschiede zweier Abziehbilder
Die Arbeit wird den Ermittlern erschwert durch die Vorgesetzte, Nicole Dubois. Wo es die beiden schon schwer haben, um zwischen billigen Dialogen, die immer wieder die Diskrepanzen der beiden Ermittler betonen, und prächtigen Landschaftsbildern mit Moped, Motorrad und Harley Davidson auch nur ansatzweise so etwas wie „Tatort“ aufkommen zu lassen, wird es durch die Interventionen der gluckernhaften Chefin auch nicht leichter. So wird ein Abend lang Sendezeit aufgeworfen, um die Unterschiede zweier Abziehbilder zu überzeichnen. Hier der in sich ruhende Dödel, der weder aufs Maul hockt noch den Schauspielkünsten eines Devid Stresow gerecht wird. Dort die taffe rothaarige Powerfrau Marx, die Stellbrink Feuer unter dem Hintern macht, ihn mitleidig anschaut, dann aber – welch Überraschung! – doch nie müde wird, sich für ihn zu verwenden. Diesen Sauglattismen wird der Handlungsstrang mit der geheimnisvollen Asiatin geopfert, was besonders schade ist, da es das einzige menschlich nachvollziehbare Schicksal in dieser Rumdödelei war.

Keine neuen Münsteraner braucht das Tatortland
Schon in der zweiten Episode stagnieren die neuen Saarbrückner Ermittler auf einem Niveau, zu dessen Etablierung Boerne und Thiel zehn Jahre gebraucht haben. Den Vergleich mit Münster sucht Saarbrücken ganz offensichtlich. Dieser Anspruch spiegelt sich in einer unausgegorenen Geschichte, die kaum mehr als Aufhänger für ein paar Dialoge ist: Man ist sich nicht zu schade, noch die billigsten Münsteraner Rocker-Tatort-Versatzstücke zu kopieren – Rocker, Dealer, Frauenfeinde. Die Reduktion der Ermittler auf ein Hin und Her von Drolligkeiten, Filmmusik und Slapstick mag auf dem Papier gefallen, auf dem Bildschirm hält man es kaum aus. Keine neuen Münsteraner braucht das Tatortland.
Was vom Tatort „Eine Handvoll Paradies“ bleibt
Man mag sich kaum ausrechnen, in welche Richtung Stellbrink und Marx sich in Zukunft „entwickeln“ werden. Wird Stellbrink, nachdem er im ersten Teil Yoga-Übungen absolvierte und im zweiten einen auf Tourette machte, im dritten Teil einen anger management-Kurs belegen? Wird Kollegin Marx ihn endlich medikamentös versorgen? Wie und wo soll das mit den Saarbrücknern weitergehen? Soll das mit den Saarbrücknern weitergehen?
Note auf der «Wie-einst-Lily»-«Nie-wieder-frei-Sein»-Skala*: 1.5.
Eine Version dieses Kommentatorts erschien auf www.tatort-fundus.de.
4 Responses to Kommentatort 70 – Tatort „Eine Handvoll Paradies“