Kommentatort 71: Tatort „Wer das Schweigen bricht“

Der fünfte Tatort „Wer das Schweigen bricht“ der Frankfurter Kommissare Steier und Mey ist der letzte von Mey. Da geht jemand, so lange es noch am schönsten ist.

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Blumen zum Abschied, und dann war es das. Sie ist wahrlich nicht lange geblieben, die je länger, je überzeugendere Frankfurter Kommissarin Conny Mey (Nina Kunzendorf). Ein bisschen etwas mehr als einen Strauss farbiges Gemüse dürfte sie sich zum Abschied dennoch heimlich erhofft haben. Jedenfalls steht sie schon überzufällig kurze Zeit nach der feierlichen Übergabe des Blumenstrausses durch ihren Vorgesetzten allein und verlassen im Besprechungsraum. Keiner scheint ihren Abgang zu bedauern – am wenigsten ihr Kollege Frank Steier, der sich lieber noch mehr auf seine hinlänglich bekannte, eindimensionale Rolle als Menschenverächter, Säufer, Grummler zurückzieht.

Frühmorgens, im Frankfurter Jugenknast: Beim Kontrollrundgang durch die Zellen wird der 19-Jährige Mustafa Zeydan tot aufgefunden, erschlagen, gefoltert. Jemand hat ihm die Zehennägel ausgerissen. Die Ermittlungen des Ermittlerpaars Mey und Steier führen in die verschwiegene, beschwiegene Welt des Jugendstrafvollzugs. Schnell ist der Tathergang rekonstruiert: Die Frage bleibt, wie es dem Mörder gelang, unbemerkt, ohne von den Überwachungskameras gefilmt zu werden, in die Zelle des Opfers zu gelangen. Ausserdem handelt es sich bei dem Mord um keinen Einzelfall, sondern um eine Abrechnung, denn es wurden auch einem weiteren Insassen die Zehennägel herausgerissen.

Mehr Lügen pro Quadratmeter als in Frankfurter Innenstadt!

Die Gefangenen schweigen, keiner ist bereit, sein Schweigen zu brechen. Immerhin ist klar, dass es vor dem Mord und den Folterungen zur Auseinandersetzung zwischen einem Gefangenen und den Wärtern kam. Mey und Steier sind ratlos und können sich nicht auf ihr weiteres Vorgehen einigen. Ihre Wege trennen sich, bevor sie sich offiziell trennen. Hinzu kommt, dass Conny Mey längst ihren beruflichen Wechsel an die Polizeischule unter Dach und Fach gebracht hat. Sie hat bisher nur noch nicht die passende Gelegenheit gefunden, es Steier zu ‚beichten‘. Aufgrund des hohen Tempos der Ermittlungen kommen sie nicht dazu, miteinander zu sprechen: Von Selbstverstümmelung, Bandengewalt bis hin zu rassistischen Vergehen ist vieles plausibel. Auf den paar Quadratmetern einiger benachbarter Gefängniszellen konzentrieren sich mehr Lügen und Halbewahrheiten als in halb Frankfurt. Fragen türmen sich: Was ist der Zusammenhang zwischen dem Toten und dem Folteropfer? Undurchsichtig ist die Rolle eines Gefängniswärters, der es ‚versäumte‘, für die Tatnacht ein neues Videoband in den Rekorder der Überwachungskamera zu legen. Das Schweigen des Folteropfers macht die Ermittlungen nicht leichter.

Abschied, wenn alles am schönsten ist

Conny Mey gewinnt endlich Kontur als eigenständige, dominante Figur, und dann soll alles, dieweil es am schönsten ist, aus und vorbei sein? Wurde Conny Mey am Anfang noch auf Hüftschwung und Dekolleté reduziert, darauf, in bildschirmfüllenden Aufnahmen den langen, langen Gang im Präsidium lang zu gehen, löste sie andere Fälle in Jogginghöschen und hüpfte mit Tatverdächtigen in die Heia. Von Tatort zu Tatort wurde sie greifbarer, während ihr Partner Steier sich damit begnügte, im Kommissariat zu übernachten, sich die Birne wegzusaufen und seine Menschenverachtung Gassi zu führen. Nina Kunzendorf geht, so lange beim neuen Frankfurter Tatort alles auf einer Höhe ist, wie sie so schnell von keinem anderem neuen Team erreicht werden dürfte. An fünf durchgehend (fast) starke Tatorte wie „Eine bessere Welt„, „Der Tote im Nachtzug„, „Es ist böse„, „Im Namen des Vaters“ und „Wer das Schweigen bricht“ wird man sich zurecht lange erinnern.

Naheliegendes statt Komplikationsspiralen

Sogar in dem Augenblick, wenn im Tatort „Wer das Schweigen bricht“ für einmal Action aufscheint, wenn der Verdächtige aus dem dritten Stock hechtet, bleibt man dem Frankfurter Credo treu, im Naheligenden den Fundus zur Ausgestaltung der Fälle zu suchen: Frankfurter Tatorte wurden ja durch die Mitwirkung des Kommissars und Buchautors Axel Petermann auf Realismus getrimmt und vor den sonst so tatorthodoxen, langweiligen Komplikationsspiralen bewahrt. So auch in diesem Fall: Viel mehr, als sich bei der Wohnung des entflohenen Häftlings in Stellung zu bringen und abzuwarten, bis der ach! wie gefährliche Täter ins Netz geht, brauchen die Ermittler nicht.

Was vom Tatort „Wer das Schweigen bricht“ bleibt

Der Tatort „Wer das Schweigen bricht“ ist ein beklemmender Tatort. Paralellelgesellschaften werden ohne Aufregung gezeigt, unaufgeregt, ungeschminkt. Es herrscht die gewohnte Frankfurter Kälte – sei es nun zwischen Mey und Steier oder zwischen den Insassen des Jungendknasts. Steier muss jedoch aufpassen, auf seinem „Die Welt ist ja so was von Scheisse“-Trip nicht allzubald in einer darstellerischen Sackgasse zu landen. Und es bleibt abzuwarten, ob mit Nina-Kunzendorf-Nachfolgerin Margarita Broich eine kongeniale Bestzung zu Joachim Krol gefunden wurde.

Note auf der «Wie-einst-Lily»-«Nie-wieder-frei-Sein»-Skala*: 5.5.

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